
Muss Deutschland jeden Flüchtling ins Land lassen, der an der Grenze Asyl begehrt? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier argumentiert, die Zurückweisungen seien nicht nur möglich, sondern juristisch geboten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will der Union Vorschläge unterbreiten, inwieweit mehr Migranten an den deutschen Grenzen abgewiesen werden könnten als bisher. Nach geltendem deutschen und europäischen Recht könnte dies schwierig sein. Allerdings gibt es auch Juristen, die darin gar kein Problem sehen.
Laut der noch geltenden Dublin-Regelung der Europäischen Union dürften eigentlich zumindest an den deutschen Landesgrenzen kaum Menschen mit Asylbegehr ankommen, weil Deutschland von Staaten des sogenannten Schengen-Raums umgeben ist, mit Ausnahme der Schweiz zudem alles EU-Mitgliedstaaten.
Zum passfreien Schengen-Raum gehören außer Irland alle EU-Staaten sowie Länder wie die Schweiz oder Norwegen. Die Dublin-Regeln sehen vor, dass Flüchtlinge in den Ländern Schutz beantragen müssen, in denen sie erstmals den Schengen- oder EU-Raum betreten. Für Deutschland sind nur Flug- und Seehäfen Schengen-Außengrenzen.
Die Zahlen
Dennoch hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) allein im Juli nach eigenen Angaben 18.503 Asylerstanträge entgegengenommen, im bisherigen Jahresverlauf waren es 140.783. Zugleich gab es im ersten Halbjahr 2024 gemäß der Dublin-Regelung 36.795 Übernahme-Ersuche Deutschlands an andere EU-Mitgliedstaaten, 12.808 wurden abgelehnt, 21.314 akzeptiert. 3043 Menschen wurden in andere EU- und Schengen-Mitgliedstaaten überstellt. Seit Oktober 2023 sind zudem rund 30.000 Personen direkt abgewiesen worden, die an der Grenze kein Asyl angemeldet haben.
Asyl
Grund dafür, dass trotz der Dublin-Regelung viele Menschen mit Asylgesuch über die Landgrenze nach Deutschland kommen, ist Artikel 16a des Grundgesetzes. Dort heißt es in Absatz 1: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Wer also an der Grenze das Wort "Asyl" sagt, muss eingelassen werden. In Absatz 2 von Artikel 16a heißt es allerdings: "Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist." Letzteres bezieht sich auf sogenannte sichere Drittstaaten, zu denen zuletzt Georgien und die Republik Moldau erklärt wurden.
In welche Kategorie ein Asylsuchender fällt - Drittstaatenregelung, Dublin, oder zugelassen zu Asylantrag in Deutschland - wird in einem Erstaufnahmeverfahren juristisch geklärt. Die Menschen müssen sich dafür in einer Zentralen Aufnahmeeinrichtung (ZAA) des jeweiligen Bundeslandes als Asyl suchend melden. Stellt sich die Frage, ob diese Prüfung gewissermaßen vorgelagert werden kann und nur noch Menschen ins Land gelassen werden sollen, die Aussicht auf den Asyl-Status in Deutschland haben. Bundesinnen- und Justizministerium schließen dies mittlerweile nicht mehr aus.
Deutsches Recht versus EU-Recht
Der Migrationsforscher Gerald Knaus äußerte die Einschätzung, dass eine Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen gegen das Gesetz verstoßen würde. "Das geht nicht. Das gültige EU-Recht ist in dieser Frage glasklar", sagte Knaus der "Rheinischen Post". Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kommt zu einer gegenteiligen Auffassung. "Ich halte Zurückweisungen nach Paragraf 18 Asylgesetz nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten", sagte Papier am Samstag der "Bild"-Zeitung. Nach Paragraf 18 sei Menschen, "die aus sicheren Drittstaaten einreisen, die Einreise zu verweigern". Deutschland sei "ausnahmslos von sicheren Drittstaaten" umgeben.
Papier zufolge gibt es keine europarechtlichen Regelungen, die über deutschem Recht wie dem Paragrafen 18 des Asylgesetzes stehen. Dieser Paragraf erlaubt Zurückweisungen von Asylbewerbern, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland einreisen und Asyl beantragen wollen. "Die jetzige Praxis, die faktisch ein Zutrittsrecht für jeden vorsieht, der das Wort Asyl ausspricht, halte ich für nicht zulässig", sagte Papier der "Bild". Die etwa aus humanitären Gründen mögliche Ausnahme sei an den Außengrenzen Deutschlands zur Regel geworden, sagte Papier. Dies widerspreche dem Sinn des Asylrechts.
Zu Einwänden, Zurückweisungen seien aus europarechtlichen Gründen wie der "Dublin-II-Verordnung" an der deutschen Außengrenze nicht ohne weiteres möglich, sagte Papier, diese Frage stelle sich eigentlich nicht: "Denn in der Frage, wer zu uns kommen darf, ist der Kernbereich der staatlichen Souveränität Deutschlands unmittelbar betroffen." Ein souveräner Staat könne "nicht gezwungen werden, jeder Person aus der Welt, die an der Grenze angibt, Asyl zu wollen, die Einreise zu gewähren". Der "Kernbereich" der staatlichen Souveränität Deutschlands sei "unantastbar und unverzichtbar" und stehe "über europäischem Recht", sagte Papier weiter.