Steinmeier in Israel: Ein hartes Gespräch – und dann noch Raketenalarm

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Frank-Walter Steinmeier trifft Benjamin Netanjahu. Händedruck mit einem Kriegsverbrecher oder notwendige Diplomatie? Wie der Bundespräsident seinen Besuch verteidigt.

Der Premierminister bereitete seinem Gast einen eher unfreundlichen Empfang. Knapp zwei Stunden, bevor Benjamin Netanjahu den Bundespräsidenten am Dienstag begrüßte, kündigte er vor Reservisten der israelischen Armee eine neue, diesmal ultimative Offensive im Gaza-Streifen an. "In den nächsten Tagen werden wir mit voller Kraft vorgehen, um den Einsatz abzuschließen", so Netanjahu. Frank-Walter Steinmeier hatte den Amtssitz des Premierministers also gar nicht betreten, da stand er schon vor vollendeten Tatsachen.

Für den Bundespräsidenten machte das die Lage nicht einfacher. Eigentlich war er nach Jerusalem gekommen, um 60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland würdigen. Nach dem deutschen Verbrechen des Holocaust wahrlich ein Grund zu feiern. Staatspräsident Herzog war am Montag in Berlin, im Gegenzug empfing er Steinmeier nun in Israel. Die beiden Staatsoberhäupter kennen sich seit zwei Jahrzehnten und sind inzwischen eng befreundet. Von Netanjahu und Steinmeier kann man das nicht behaupten.

Frank-Walter Steinmeier bei Netanjahu: Kritik von Amnesty International

Doch um persönliche Beziehungen geht es längst nicht mehr. Mit Netanjahus Ankündigung stellte sich unmittelbar vor dem Treffen eine ohnehin schon schwierige Frage mit neuer Dringlichkeit: Wie umgehen mit dem schwierigen Partner? Wie viel Kritik an der Kriegsführung Netanjahus im Gaza-Streifen erlaubt die Solidarität mit Israel nach den brutalen Morden der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit Hunderten Toten und noch immer 58 verschleppten Geiseln in den Händen der Terrororganisation?

In der deutschen Öffentlichkeit wächst das Befremden über die Kriegsführung der Israelis. Hilft Gewalt wirklich bei der Befreiung der Geiseln? Oder wäre der Weg über neue Verhandlungen nicht besser geeignet? Man kann nicht behaupten, dass Netanjahu Gesprächspartnern aus Berlin ausweicht. Der israelische Premierminister erlebt geradezu deutsche Wochen. Mit dem neuen Kanzler Friedrich Merz hat er nach dessen Wahl im Bundestag telefoniert. Merz, der sich im Wahlkampf sehr solidarisch mit Netanjahu gezeigt hatte, will alsbald nach Israel reisen, heißt es. Der neue Außenminister Johann Wadephul war schon da, erklärte die Freilassung der israelischen Geiseln zur Priorität, nannte aber auch die humanitäre Lage der Palästinenser "unerträglich". Er sei sich nicht sicher, so Wadephul, ob die schon in den vergangenen Wochen verstärkte Militäroffensive langfristig der Sicherheit Israels diene.

Jetzt soll die Offensive noch härter geführt werden. Mit voller Kraft, wie Netanjahu formulierte. Frank-Walter Steinmeier hat Kritik wohl vernommen, die vor seiner Abreise an seinem Besuch bei Netanjahu laut geworden ist. Amnesty International hielt dem Bundespräsidenten vor, einem Premierminister die Hand zu reichen, der für Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen verantwortlich sei. Das sei ein Affront gegenüber den Opfern. Der Bundespräsident wies die Forderung nach einem Verzicht auf ein Treffen mit Netanjahu jedoch als "sehr einfach" zurück. Er wolle schwierigen Gesprächen nicht aus dem Weg gehen. "Das war nie meine Haltung und sie ist es ganz besonders im Verhältnis zu Israel nicht."

Am frühen Abend saßen die beiden Herren dann zusammen. Ein kurzer Fototermin im Arbeitszimmer des Premierministers, Netanjahu und Steinmeier in zwei Sesseln, durch einen Tisch voneinander getrennt, kein Smalltalk, kein Bemühen um eine lockere Atmosphäre. Steinmeier hatte vorher als Ziel formuliert: "Wir werden über die Kriegsführung reden, und ich hoffe sehr, dass wir Erklärungen dafür bekommen." 

Einerseits sieht Steinmeier Deutschland nicht als neutralen Vermittler, sondern an der Seite Israels, das nach dem Überfall der Hamas sein Selbstverteidigungsrecht wahrnimmt. Der Bundespräsident, fast acht Jahre lang auch Außenminister, ist nicht naiv. Er weiß um das Dilemma der israelischen Armee, gegen die Hamas nur um den Preis ziviler Opfer vorgehen zu können. Er weiß, dass die Terroristen über die Verteilung von dringend benötigten Hilfslieferungen ihre Macht im Gaza-Streifen stabilisieren können.

Um 19:27 Uhr wird Steinmeier in den Keller seines Hotels geführt

Andererseits verlangen Mitgefühl und Völkerrecht, dass Israel sich um eine Verbesserung der Lebensbedingungen im Gaza-Streifen bemüht. Und sowohl beim festlichen Abendessen für Präsident Herzog im Schloss Bellevue am Montagabend als auch bei einem Treffen mit israelischen Intellektuellen am Dienstag in Jerusalem haben vom Bundespräsidenten durchaus geschätzte Gesprächspartner Steinmeier eine eindeutige Forderung mitgegeben: mehr Druck auf Netanjahu.

30 Minuten waren für die Begegnung angesetzt, 45 Minuten dauerte sie. Ein verbaler Schlagabtausch? Eher nicht. Hat der Bundespräsident die gewünschten Erklärungen bekommen? Wie man's nimmt. Netanjahu verwies dem Vernehmen nach darauf, dass eine Mehrheit der Israelis die Befreiung der Geiseln fordere, ein Ende des Krieges und die Sicherheit, dass von der Hamas keine Gefahr mehr ausgeht. Der Premierminister nimmt für sich in Anspruch, dass seine Offensive all diesen Zielen diene. Zugleich soll der Kanal für Verhandlungen offen bleiben. Steinmeiers Forderungen nach mehr humanitärer Hilfe verschloss sich Netanjahu nicht – allerdings fordert er ein anderes System der Verteilung als bisher. Im Gespräch sind mittlerweile private amerikanische Stiftungen. Der Bundespräsident, so hieß es anschließend, forderte Netanjahu auch auf, politische Perspektiven für ein Ende des Krieges aufzuzeigen, nicht zuletzt mit gesprächsbereiten arabischen Staaten. Doch davon scheint bei Netanjahu bislang keine Rede zu sein.

Um 19:27 Uhr am Dienstagabend hatte Steinmeier dann plötzlich einen außerplanmäßigen Termin. Die Warnapps auf den israelischen Handys kündigten einen Raketenalarm an, der Bundespräsident, seine Frau und die Delegation wurden in den Schutzraum des King David in Jerusalem geführt, ein langer, betonierter Flur im Keller. An der Decke hängen die Versorgungsleitungen des Hotels. Nach zehn Minuten ist alles vorbei, die israelische Abwehr hat die Langstreckenrakete aus dem Jemen zerstört – der Gast aus Deutschland hat einen kurzen Eindruck vom Alltag in Israel bekommen.