Unser Autor hat den HSV durch die Zweite Liga begleitet. Jetzt ist der Klub endlich aufgestiegen. Eine persönliche Erinnerung an das lange Warten auf ein Happy End.
Dies ist eine Geschichte über Geduld. Über Hoffnung und Verzweiflung. Vielleicht gibt diese Geschichte eine Antwort auf die Frage, ob alles, was lange währt, tatsächlich gut wird. Es ist eine Geschichte über die Leidensfähigkeit sowie die Kunst, über sich selbst lachen zu können. Es geht um eine Höllenfahrt, für die der Rückfahrschein verloren zu sein schien. Es geht um Stromkästen, die die Farbe wechseln. Und um das Selbstwertgefühl einer ganzen Stadt, zumindest von großen Teilen dieser Stadt. Und es geht darum, was das mit einem selbst macht, mit mir, der mal als Reporter zum HSV geht und mal mit meinem Sohn in den Fanblock, direkt hinterm Tor.
Es geht um den HSV, den Hamburger Sportverein, für den sich vor genau sieben Jahren ein Schlund öffnete, der schwarzen, beißenden Rauch ausspuckte.
Als der Bundesliga-Dino ausstarb
Es war der 12. Mai 2018, im Nordwesten des Hamburger Volksparkstadion lief die ewige Uhr, die anzeigte, wie lange der HSV schon der Bundesliga angehört: 54 Jahre, 261 Tage, 00 Stunden, 36 Minuten und 02 Sekunden. Der Klub war damit der Dino unter den Bundesligisten, weshalb bis heute vor und nach einem Heimspiel ein Plüschdinosaurier über das Spielfeld hüpft, das Maskottchen. Fußballfans sind oft Kindsköpfe geblieben.
Als die Zeit stehen blieb, an einem Samstag, nach einem 2:1 gegen Mönchengladbach, das zur Rettung aber nicht reichte, knallte es in der Fankurve, Rauchbomben wurden gezündet, und auf dem Spielfeld brachten sich Reiterstaffeln der Polizei in Stellung. Durch die Rauchschwaden aber stimmten die Besucher das Vereinslied "Mein Hamburg lieb ich sehr" an, "sind die Zeiten auch oft schwer."
Auch dem neutralen Zuschauer konnte der HSV in diesem Moment ein kleines Stück ans Herz wachsen, und so ging es auch mir. Hamburg, diese oft so zugeknöpfte Stadt, zeigte Mitgefühl mit den Untergegangenen. Und je tiefer der Verein in den kommenden Jahren sankt, je absurder sein Scheitern erschien, desto mehr wuchs die Zuneigung.
Kicken in der zweiten Liga: Die HSV-Pannenshow
Es häuften sich in den Folgejahren Pannen, die selbst Buster Keaton, bekannt als der Mann, der niemals lachte, zum Schmunzeln gebracht hätten. Wenige Beispiele müssen reichen: Am letzten Spieltag der Saison 2019/20 müsste der HSV gegen Sandhausen gewinnen, um wenigstens noch die Relegation zu erreichen. Endstand 1:5. Dann ständig die verlorenen Bälle im Mittelfeld unter der Ägide des Trainers Tim Walter, die zu Gegentoren führten, über die sich die andere Mannschaft wunderte, wie Bankräuber sich wundern, denen der Direktor den Tresor vorauseilend aufschließt.
Der Hoppelball, den der ansonsten meist überragende Torhüter Daniel Heuer Fernandes zielsicher ins eigene Netz trat, ausgerechnet beim Stadtderby gegen den FC St. Pauli im Dezember 2023. Das Spiel endete 2:2 im Wintertreiben, eine schönere Schneeballschlacht hatte der Fußball noch nie gesehen. Andere HSV-Spiele glichen einem Autounfall, von dem man den Blick nicht lösen konnte, meist gegen Aufsteiger aus der dritten Liga. Die Dämonen der Fußballunterwelt schienen sich in der Umkleidekabine des HSV häuslich eingerichtet zu haben.
Und während man im Verein noch vom Prozess redete, der eingeleitet worden sei, stiegen gefühlt alle anderen Mannschaften der Zweiten Liga auf (Paderborn! Darmstadt! Heidenheim!), nur der HSV nicht.
Die einzige Konstante: die Fans
An den Fans lag es nie. Sie waren zur Stelle, füllten den Volkspark an jedem verdammten Spieltag. Und wenn sich eine Saison zuspitzte, war zu erleben, wie sich große Teile der Stadt eine Art Kriegsbemalung anlegte, überall tauchten die Farben des HSV auf, an Stromkästen, an Brückenpfeilern, in Schrebergärten, ganze Treppenzugänge zu S-Bahn-Stationen in Schwarz-weiß-blau. Und am Ende wieder: nix. Manchmal war es nicht einmal knapp.
Besonders grau waren die Lockdown-Monate in der Corona-Hochzeit. Landesweit fanden die Ligapartien ohne Publikum statt, Geisterspiele, Totenstille im fast leeren Rund. Und mit jeder weiteren Saison die Hoffnung, so, jetzt aber! Mit jedem neuen Trainer die Überzeugung: Der weiß, wie’s geht. Dieter Hecking wusste es nicht. Tim Walter wusste es nicht. Steffen Baumgart, der als Kind in HSV-Bettwäsche geschlafen haben soll, wusste es am allerwenigsten.
So schob sich ein stiller Beobachter all der Malheure, all der Pleiten, all der Enttäuschungen in den Vordergrund: Merlin Polzin, seit 2020 Co-Trainer, übernahm im November 2024, dem grauesten aller Monate, von Baumgart, erst als Brückenlösung, dann aber als Mann, der den Erfolg zurückbrachte. Bis im April erneut alles zusammenzukrachen und der Zauberer Polzin zum Zauderer Polzin zu schrumpfen schien. Und wie bei einer Party, bei der man merkt, dass man wieder allein nach Hause gehen wird, wandten sich die ersten Fans drei Spieltage vor Schluss ab: "Richten wir uns auf ein paar weitere Jahre in der Zweiten Liga ein", hörte man von denen, die schon viel im Volkspark gesehen hatte, zu viel möglicherweise.
Auch Fußballreporter haben ein Herz
Auch ich selbst habe sehr viel gesehen beim HSV. Zuerst von dort, wo Journalisten im Stadion sitzen, auf der Pressetribüne. Dort versammelt sich beim HSV geballte Kompetenz: Jahrzehntelange Begleiter des Vereins, ehemalige Hochrangige der Sportpresse, Herausgeber von lokalen Anzeigenblättern, sogar ein Doppelgänger von Steffen Baumgart sitzt dort ab und zu. Dazu kommen hartgesottene, coole Fußballreporter, für die das alles nur ein Job ist.
Aber ein Kritiker, der wechselweise nur über Tragödie oder Komödie schreiben muss, wünscht sich irgendwann einmal ein Happy End, auch fürs eigene Seelenheil. Immer nur Kopfschütteln macht bitter. Und so war in den vergangenen Wochen zu erleben, dass einige von uns, die eigentlich zu Neutralität verpflichtet sind, aufsprangen, hin- und hertigerten, das erlösende Tor herbeisehnten, das oft doch ausblieb. Auch Fußballreporter haben ein Herz, das war auf der Pressetribüne des HSV zu erleben. Und mal ehrlich: Es steigert das Selbstwertgefühl, wenn man wieder aus der Ersten Liga berichten darf. Wie steht man denn sonst unter den Kollegen da?
Ein magischer Ort
Noch viel mehr habe ich erlebt in der Südkurve des Stadions, am liebsten im Block 11 A, direkt hinter dem Tor. Dort lässt sich der Pulsschlag des HSV-Publikums, männlich, weiblich, von sehr jung bis sehr alt, spüren. Da ist der Brüll-Fan, der bei jeder Temperatur in kurzer Hose erscheint, hagerer Typ, sehr durchdringendes Mundwerk, kein Freund von kurzen Ecken. Da sind die Bierchen-Trinker und -Trinkerinnen, die ihre Gefühle zwischen sich und dem Bierbecher ausmachen. Da ist der Fan, der seinen Vater mitnimmt, dessen Erinnerungen langsam verblassen. Dieser Vater hat früher mal gegen Uwe Seeler gespielt, und wenn er im Stadion den Gesang hört, dann weiß er wieder, wo er ist; und meckern über einen Fehlpass kann er auch noch.
Und da sind mein Sohn und ich, seit ein paar Jahren schon. Es ging so los, dass ich ihn aus Erziehungsgründen mitnahm. Wir beide sind glühende Anhänger einer ruhmreichen Mannschaft aus dem Süden Deutschlands, und ich dachte, es hilft beim Großwerden, auch mal das Verlieren zu lernen.
Um sich in der Woche darauf über einen Sieg zu freuen, der mehr ist als Pflicht oder amtlich oder abgebrüht. Wir haben rauschende Nachmittage erlebt und bittere Nächte (das 0:2 gegen Hertha BSC Berlin in der Relegation, 2022). Wir haben viele Stadionwürste und tütenweise Pausen-Popcorn vertilgt. Wir singen die Hymne mit, wir lassen den Fanschal kreisen, wenn der HSV ein Tor geschossen hat. Mein Sohn hat seine Lieblinge, einst Sonny Kittel, jetzt Ludovit Reis, die Nummer 14. Ich mag Bakery Jatta am liebsten, auch wegen seiner Geschichte.
Der hellste HSV-Moment in den vergangenen Jahren war jener, als der Verein und seine sportliche Führung sich den Menschenjägern der Springer-Presse in den Weg stellten, die Jatta nachweisen wollten, dass er unter falschem Namen von Gambia nach Deutschland geflüchtet sei. Nie war die HSV-Abwehr so stabil wie in dieser Angelegenheit. Die Springer-Presse schweigt seitdem, Jatta ist weiterhin in Hamburg (wenn auch seit längerem verletzt).
Zurück aus der Hölle
Es gab gute Tage, aber die schlechten Tage überwogen irgendwann: In der Spätphase von Steffen Baumgart wollte mein Sohn nicht mehr mitgehen in den Volkspark. War nur eine Phase, auch bei ihm kam mit Polzin die Lust auf Fußball zurück, sogar beim 2:4 gegen Braunschweig wollte er nicht verzagen. Mein großes Versprechen, seit Jahren schon gültig, lautet: Sollte der HSV aufsteigen, besorge ich uns Dauerkarten. Billige Nummer, oder? Wird doch eh nie was draus, sagten Freunde.
Es kam, auch das zeichnet den HSV-Geist aus, mal wieder ganz anders. Und natürlich hätten mein Sohn und ich am Samstagabend im Stadion sitzen müssen, die Bratwurst in der Hand, den Schal um den Hals, in Hörweite des Schreihalses mit den kurzen Hosen, in der Nähe der beste Fußballkumpel, der uns oft Karten organisiert hat, nicht weit hinter uns die Mutter eines Mitspielers aus der Jugendmannschaft meines Sohnes. Ein kleiner Flecken versammelter Fußballbegeisterung. Doch an diesem Samstag feierte mein Sohn seine Konfirmation; wir hätten uns unmöglich von der abendlichen Familientafel erheben und ins Stadion fahren können. Wir erlebten den Aufstieg, den wir bis zuletzt nicht für möglich gehalten haben, mit vollem Bauch vor dem Fernseher. Der Fußballkumpel schickte viele Bilder aus der Südkurve, auch vom dem Stück Rasen, das dessen Sohn nach Spielende und Platzsturm ergattert hatte.
Das Tor der Fußballhölle hat den HSV am 10. Mai 2025 in eine andere, in die helle Richtung entlassen. Statt schwarzer Rauchbomben wurde in der ganzen Stadt Feuerwerk gezündet. Liebe Kollegen von der Pressetribüne: Ich hoffe, ihr habt euch umarmt, nach all den Jahren. Mein Sohn und ich haben mehrfach eingeklatscht, wie im Stadion, nur ohne Schal.
Hat jemand zwei Dauerkarten übrig, bitte?