Eine Einigung der EU-Staaten zur Chatkontrolle ist „weiter entfernt als je zuvor“. Das geht aus einem eingestuften Verhandlungsprotokoll hervor, das wir veröffentlichen. Einige Staaten beklagen „eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie“. Damit dürfte auch Polen scheitern, eine Einigung zu organisieren.

Seit fast drei Jahren streiten die EU-Institutionen über eine verpflichtende Chatkontrolle. Die Kommission will Internet-Dienste verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und diese bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das Parlament bezeichnet das als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.
Die EU-Staaten können sich im Rat bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Die polnische Ratspräsidentschaft hat vorgeschlagen, die Chatkontrolle freiwillig zu erlauben statt verpflichtend zu machen. Die Mehrheit der Staaten lehnt das ab.
Neue Ebene
Bisher haben die Staaten das Gesetz vor allem in der Arbeitsgruppe Strafverfolgung verhandelt. Das sind Beamte aus den Ministerien der Hauptstädte, die dafür dutzende Male nach Brüssel gereist sind. Polen hat die Verhandlungen jetzt auf eine höhere Ebene gehoben: die Referent:innen für Justiz und Inneres. Das sind Mitarbeiter der Landesvertretungen in Brüssel, die zu Innenpolitik arbeiten.
Wir veröffentlichen ein weiteres Mal das eingestufte Protokoll der Sitzung.
Keine Einigung
Die Vertreter der EU-Botschaften kritisierten die Behandlung des Gesetzes auf dieser höheren Ebene „deutlich“. Die JI-Referenten sind normalerweise dafür zuständig, „bei im Wesentlichen geeinigten Texten letzte Probleme auszuräumen“.
Bei der Chatkontrolle besteht aber „keine Einigung über die Grundausrichtung“. Kein einziger Artikel des Gesetzes ist „abschließend besprochen“. Eine Einigung der EU-Staaten ist „weiter entfernt als jemals zuvor in den letzten Jahren“, heißt es im Protokoll.
Zeitverschwendung
Viele Staaten kritisieren den polnischen Vorschlag, die Chatkontrolle nur freiwillig statt verpflichtend zu machen. Sie fordern, dass die Präsidentschaft sowohl das Verfahren als auch die „Grundausrichtung des Textes“ wieder ändert. Alles andere sei „eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie“.
Den vollständigen Gesetzentwurf von Polen haben die Referenten gar nicht erst diskutiert. Inhaltlich ging es nur um eine Zusammenlegung von zwei Artikeln. Dazu „gab es nur wenige Wortmeldungen“.
Format überdenken
Damit ist so gut wie sicher, dass sich die EU-Staaten auch in der polnischen Ratspräsidentschaft nicht einigen werden. Formal könnte das im Rat „Justiz und Inneres“ Mitte Juni passieren. Zur Zeit ist aber nicht absehbar, wie eine inhaltliche Einigung aussehen könnte.
Polen sagte zu, „das weitere Format der Sitzungen zu überdenken“. Die Staaten sollen in dieser Woche schriftliche Kommentare einreichen. Wie es weiter geht, will Polen „in den kommenden Tagen“ mitteilen.
Hier das Dokument in Volltext:
- Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
- Datum: 29. April 2025
- Von: Ständige Vertretung der BRD bei der EU
- An: Auswärtiges Amt
- Kopie: BMI, BMJ, BMF, BKAmt, BMWK, BMDV, BMFSFJ
- Betreff: Sitzung der JI-Referent*innen RAGS–P (CSA) am 29. April 2025
- Bezug: CM 2439/1/2025 REV 1
- Zweck: Zur Unterrichtung
- Geschäftszeichen: 350.80
Sitzung der JI-Referent*innen RAGS–P am 29. April 2025
I. Zusammenfassung und Wertung
Die Sitzung drehte sich im Wesentlichen um die Frage, warum der Vorsitz trotz des deutlichen Widerspruchs der MS in der letzten Sitzung der RAGS–P (CSA) zur weiteren Behandlung des Dossiers Sitzungen der JI-Referenten (und keine vollverdolmetsche Expertensitzungen) angesetzt habe. Dieses Verfahren wurde von zahlreichen MS deutlich kritisiert. JI-Referentensitzungen seien üblicherweise ein Mittel, um bei im Wesentlichen geeinigten Texten letzte Probleme auszuräumen. Im vorliegenden Dossier bestehe aber keine Einigung über die Grundausrichtung, es sei kein einziger Artikel abschließend besprochen und es bestünden bei den MS fast durchgängig Zweifel am Mehrwert des Kompromissvorschlags. Gegenwärtig bleibe der Text sogar hinter den Möglichkeiten der Interims-VO zurück und biete diverse Schlupflöcher für die Provider. Man sei von einer allgemeinen Ausrichtung weiter entfernt als jemals zuvor in den letzten Jahren. Die Komplexität des Themas und die nach wie vor kontroversen Ansichten erforderten aber, dass sich Experten in ihrer Muttersprache austauschen könnten. Zudem habe sich der Eindruck verfestigt, dass die zahlreich eingereichten Kommentare der MS seitens Vorsitz nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Solle Vorsitz an der gewählten Grundausrichtung des Textes und dem Verfahren festhalten, sei es „eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie“.
Wir legten mit Verweis auf die laufende Regierungsbildung einen Prüfvorbehalt ein (ebenso ITA, HUN, CZE) und betonten erneut, dass eine Regelungslücke nach dem Auslaufen der Interims-VO vermieden werden müsse.
Zum vom Vorsitz mit WK 4915/2025 vorgelegten Vorschlag einer Zusammenlegung von Artikel 5a mit Artikel 27 gab es nur wenige Wortmeldungen.
IRL sprach sich gegen die Zusammenlegung aus, da man einen separaten Fokus auf „assessment and evaluation“ beibehalten wollte (auch KOM). Zudem solle die Risikokategorisierung wieder aufgenommen werden. Durch die vorgeschlagene Zusammenlegung von Risiko und Rechtsdurchsetzung sei nicht mehr klar, wie das Risiko evaluiert werde. Auch versetze der gegenwärtige Text weder Provider noch die kompetente Behörde in die Lage, sinnvoll und nachvollziehbar Restrisiken zu bestimmen. Grundsätzlich brauche man für die weiteren Verhandlungen mit dem EP einen starken Text (auch KOM). IRL sei auch bereit, über eine Verlängerung der Interims-VO zu reden.
FRA kritisierte, dass der neue Text nicht deutlich mache, welche Safeguards einhalten seien. Zudem wiederholte FRA die Befürchtung, dass die kompetente Behörde mit individuellen Beschwerden überschwemmt werden könnte. Insgesamt sei der vom Vorsitz vorgelegte Text zu kompliziert.
LTU verwies auf frühere Kommentare zur Vermeidung von übermäßiger Bürokratie. Auch müsse klar gemacht werden, dass CSA automatisch „harmful“ sei und keine weitere Qualifizierung brauche.
AUT, FIN und SWE unterstützen die Zusammenlegung der Artikel.
Zu Dok. 7080/25 erfolgte keine Aussprache.
Vorsitz sagte abschließend zu, das weitere Format der Sitzungen zu überdenken und bat um schriftliche Kommentare bis zum 7. Mai 2025. Auf SWE Nachfrage zum weiteren Verfahren auch im Hinblick auf den JI-Rat im Juni und die für den Mai angesetzten JI-Referent*innen Sitzungen antwortete Vorsitz, die MS „in den kommenden Tagen“ informieren zu wollen.
II. Im Einzelnen
entfällt
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.