Kann Ukraine ohne USA bestehen?: "Setzen unsere Hoffnungen in neuen deutschen Bundeskanzler"

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In Kiew beraten Experten über die Ukraine, ihre Lage im Verteidigungskrieg gegen Russland und das westliche Bündnis. Ex-Staatschef Poroschenko zeigt sich von Kanzler Merz beeindruckt. Die USA sind Experten zufolge weiterhin wichtige Partner. Aber Kiew brauche "einen Plan B", sagt ein Ex-Diplomat.

Während in Moskau die Panzer bei einer pompösen Parade über den Roten Platz rollen, um den Sieg gegen den Nationalsozialismus zu zelebrieren, berät in Kiew eine Heerschar von Experten, wie sie gegen den Aggressor Russland mit weniger oder sogar ohne die Hilfe der USA überleben könnten. Was ist unter dem US-Präsidenten Donald Trump von der transatlantischen Unterstützung der Nato noch übrig? Gibt es die Aussicht auf Frieden? Und falls nicht, welche Waffen könnten den Krieg entscheiden?

"Wir befinden uns an der Front in einer extrem schwierigen Lage", sagte Ukraines ehemaliger Präsident Petro Poroschenko am Rande des Kiewer Sicherheitsforums. Es mangele nicht nur an Personal, sondern auch an Technik, Granaten und Waffen, insbesondere an Luftabwehr. "Wir setzen unsere Hoffnungen in den neuen deutschen Bundeskanzler", so Poroschenko. "Ich hatte erst vor wenigen Tagen die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, und war sehr beeindruckt von seinem Engagement, die deutsche Führungsrolle in ganz Europa zu stärken und zu demonstrieren." Jeder verstehe, dass es nicht nur um Unterstützung für die Ukraine, sondern um eine Investition in die europäische Sicherheit gehe.

Seit Trump im Amt ist, hat die westliche Allianz deutliche Risse bekommen. Die Ukraine, auf deren Territorium schon seit mehr als einem Jahrzehnt russische Truppen stehen und seit Februar 2022 der großangelegte Krieg tobt, möchte das nicht akzeptieren. Darum geht es bei der Eröffnungsrede der Veranstaltung, bei der Experten aus der westlichen Welt zusammentreffen, auch aus Deutschland. Ukraines Ex-Premierminister Arsenij Jazenjuk appellierte an die Verbündeten: "Wir haben es vor 80 Jahren getan, und wir werden die Weltordnung erneut wiederherstellen."

Waffen für militärischen Erfolg

Jazenjuk zog einen historischen Vergleich. Als "die damals freie Welt" 1938 unbedingt einen Deal mit Hitler habe abschließen wollen, sei das fatal gewesen. "Hitler führte die großangelegte Invasion der Ukraine durch." Heute spiele Putin nach anderen Regeln als Trump. China und den Globalen Süden warnte er: "Diejenigen, die Neutralität beanspruchen oder sich als Vermittler präsentieren wollen, müssen erkennen, dass man in diesem Krieg nicht neutral sein kann, man muss Partei ergreifen, sonst ist man Mittäter."

Später sitzt Trumps früherer Ukraine-Beauftragter Kurt Volker auf einer Bühne und wird gefragt, was er von den Friedensanstrengungen des Weißen Hauses halte. "Putin wird nie einen Frieden akzeptieren", meint Volker glasklar. "Wir brauchen also die militärische Abschreckung." Trumps Regierung übe sehr viel Druck auf die Ukraine aus, richte aber kaum Forderungen an Russland, führt Volker aus. Der Druck auf Moskau müsse eindeutig zunehmen, um Russland zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Trump missverstehe Putins Motivationen, weil er sich davon leiten lasse, was ihn selbst antreibe: ein guter Deal.

Die praktischste Frage ist, welche Waffen den Krieg entscheiden könnten - ohne die US-Hilfen, die bald auslaufen. Drohnen seien dafür entscheidend, sagt der Kommandeur eines Bataillons für unbemannte Systeme, Vjacheslaw Schutenko. Es gehe in heutigen Kriegen um Technologie, Präzision und Geschwindigkeit. "Unbemannte Systeme sind keine Hilfssysteme mehr. Sie sind auf dem Schlachtfeld entscheidend." Laut Schutenko benötigt die Ukraine deshalb für einen Sieg mehr Drohnen: "Wir brauchen eine skalierbare Drohnenproduktion und eine unterbrechungsfreie Versorgung der ukrainischen Militär- und Kampfeinheiten mit Drohnen."

Seine Aussagen passen zu einer anderen Runde, die über Innovationen auf dem Schlachtfeld diskutiert - oder vielmehr, sich darüber einig ist: In der Ukraine wird derzeit die Militärtechnik von morgen entwickelt. Innovationssprünge würden vom "Willen zu überleben" angetrieben, sagt Tech-Unternehmer Dmytro Schymkiw. Innerhalb weniger Monate, gar Wochen, geschehe das. Anpassungen zwischen Ingenieuren und Einheiten auf dem Schlachtfeld finden demnach im laufenden Einsatz statt. Schymkow betont, nur die fortschrittlichsten Technologien könnten Soldatenleben schützen. Auch der Rüstungsindustrie der Verbündeten, etwa in Deutschland, Großbritannien, Portugal, nütze das.

Drohnen werden immer wichtiger

Allerdings könne die Ukraine den Krieg nicht allein mit Drohnen gewinnen, meint Kommandeur Schutenko: Gut ausgebildetes Personal für Infanterie- und Angriffseinheiten sei wichtig, aber noch wichtiger die kontinuierliche internationale Unterstützung. Diplomatisch, mit Sanktionen, mit Luftstreitkräften und Artillerie. "Wir brauchen all das, weil wir hier in der Ukraine gegen eine der mächtigsten Armeen der Welt kämpfen. Wenn uns das gelingt, werden wir den Russen solche Verluste zufügen, dass sie uns um Verhandlungen und um Frieden anflehen werden."

Die Verhandlungen laufen bislang nicht gut für die Ukraine. In einem Interview am Rande des Forums erklärt die Sicherheitsexpertin Julia Kazdobina, Leiterin der Ukrainischen Stiftung für Sicherheitsforschung im polnischen Krakau, die bisherigen Bemühungen der US-Regierung seien weitgehend fehlgeleitet. "Sie versucht, Frieden zu schaffen, ohne die Kriegsgeschichte und die Kriegsgründe zu berücksichtigen. Sie setzt beide Seiten des Krieges gleich und ignoriert die Tatsache, dass Russland der Aggressor ist und die Aggression bewusst, wohlüberlegt und vorbereitet ist." Versuche, Zugeständnisse an Russland zu machen, würden die Situation nicht lösen. "Das schadet der Ukraine mehr, als dass es ihr hilft."

Laut Kazdobina befinden sich auch die anderen europäischen Länder bereits im Krieg. "Wir wissen, dass gemäß der russischen Militärdoktrin hybride Methoden zur Schwächung des potenziellen Opfers an erster Stelle stehen." Darauf folge die Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld. "Auch wenn dem Anschein nach noch Frieden herrscht und sie nur hybriden Angriffen ausgesetzt sind, befinden sie sich bereits im Krieg."

Der Idealfall wäre, dass die US-Hilfen nicht versiegen. Als positives Signal wird dabei von den Experten das am Donnerstagmorgen vom ukrainischen Parlament ratifizierte Rohstoffabkommen mit den Vereinigten Staaten gewertet. Es zeige, dass es sich lohne, Nein zu sagen. Steven Pifer, von 1998 bis 2000 US-Botschafter in der Ukraine, glaubt, dass es sich zwar lohne, die USA weiterhin einzubeziehen. Aber: "Es ist wichtig, das Kiew einen Plan B hat".

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