Kanzler findet Glück im Ausland: Merzi, dass es Dich gibt!

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Der Chef der CDU ist am Ziel, aber als Bundeskanzler steht er ganz am Anfang. Friedrich Merz' wichtigster Trumpf für eine gelingende Amtszeit liegt dabei nicht in Deutschland.

Wissen Sie noch, wie am Dienstag ganz kurz die Apokalypse über Deutschland hineinbrach? Friedrich Merz fehlten für ein paar Stunden 18 Stimmen zur Kanzlerschaft, aber noch bemerkenswerter als diese staatspolitische Premiere der Bundesrepublik waren die Reaktionen.

Da geiferten die Apokalyptiker, all jene, denen nichts mehr Freude bereitet, als wenn irgendetwas nicht wie erwartet funktioniert. Flugs wurden Kommentare geschrieben: Staatskrise! Kanzler beschädigt! Das war's dann wohl mit Deutschland, schade! So klang das.

Haben wir denn überhaupt nichts gelernt? Die Zeiten geruhsam-vorhersehbarer Abläufe in der Politik sind vorüber. Donald Trump gewinnt zweimal, Großbritannien verlässt die EU, Dinge passieren, wenn die Weltpolitik auf Schubumkehr schaltet.

Was von der Apokalypse bleibt

Was bleibt: Merz war geschockt, aber er ist nicht beschädigt. Denn die Öffentlichkeit ist zwar stets empörungsbereit, verfügt aber über die Aufmerksamkeitsspanne einer Kellerassel. Und Friedrich Merz hat alles gegeben, damit der Fehlstart flux vergessen ist.

Wie es Tradition ist, flog Merz noch am ersten Tag seiner Amtszeit nach Paris und Warschau - und kommunizierte praktisch makellos. So zeigte er sich den Journalisten mit Anzug und Krawatte und nicht im Strickpullover, wie sein Vorgänger. Dem Vernehmen nach sprach er auch gern mit den Journalisten, erst on the record, dann off the record. Er machte offenbar sogar ein bisschen Small Talk über die Bierversorgung im Flugzeug. Ein Kanzler, der gern mit anderen spricht? Das kam für manche Reporter so überraschend, als hätte die Hauskatze aus dem Nichts ein Gedicht vorgetragen.

Es folgten Szenen in Frankreich und Polen, Begrüßungsrituale, die eher an den Fußballplatz erinnerten. Der Handschlag war der Bro-Handshake, wie die "F.A.Z." über Merz' Zusammentreffen mit Donald Tusk notierte - und Bro-mäßig war auch schon der Handschlag mit Macron: Arm angewinkelt, Finger nach oben, PAFF, fast wie in der berühmten "Predator"-Szene.

Rettungsboot auf meinem Ozean

Sogar ein Selfie hat Merz, nach langem angeblichen Selfie-Verbot in den Koalitionsverhandlungen, gemacht - aber mit Macron. Auf einmal wird also passabel kommuniziert und die Staatsmänner scheinen zu singen: "Du bist das Rettungsboot auf meinem Ozean, Merzi, dass es Dich gibt!"

Alles super also? "Nach einem miefigen, verstörenden Wahlkampf fühlt es sich an, als hätte endlich jemand das Fenster aufgerissen. Und sei es nur in Sachen Polit-PR." Huch, das habe ich ja schon einmal geschrieben - und zwar, als grüne und gelbe Ampelteile im September 2021 das Zitronen-Selfie veröffentlichten. Sollte ich womöglich also etwas vorsichtig sein? Wohnt nicht jedem Anfang ein Zauber inne?

Strategisch betrachtet sind Europa und die Außenpolitik für Friedrich Merz tatsächlich der wichtigste Trumpf. Der Kanzler braucht hier den starken Auftritt dringender als auf jedem anderen Gebiet der Politik. Das mag überraschen: Manche Beobachter halten etwa die Wirtschaft und die Migration für die wichtigsten Themen.

Unruhige Gewässer

Richtig ist: Wirtschaft und Migration dominierten den Wahlkampf, da muss Merz liefern. Das Problem: Hier lauert für Merz die Gefahr des Scheiterns, ohne dass er selbst viel dagegen tun kann. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hängt von vielen Faktoren ab, nur wenige davon beherrscht die Bundesregierung, wenn man einmal ehrlich ist.

Der Ökonomie drohen viele Disruptionen: die Weiterungen des Zollstreits, mögliche geopolitische Spannungen in der Ukraine, im Nahen Osten, zwischen China und Taiwan, und - jetzt auch das noch - Indien und Pakistan, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen technologische Entwicklungen, Durchbrüche, Katastrophen und so weiter.

Bei der Migration droht politischer Konflikt: Einerseits mit dem Koalitionspartner, andererseits mit dem europäischen Ausland, oder auch mit der Justiz, dem Europäischen Gerichtshof etwa. Merz hat sein "Tag 1"-Versprechen halbwegs umgesetzt und schon jetzt ermahnt die Rechtspolitikerin Sonja Eichwede von der SPD, bis vor kurzem noch gehandelt als künftige Justizministerin, den Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), dass die Zurückweisung von Asylbewerbern gegen Europarecht verstieße. Unruhige Gewässer.

Geschichte schreiben ohne Abstimmungen zu gewinnen

In der Europa- und Außenpolitik dagegen kann Merz kontrolliert punkten: Geschichte schreiben, ohne Abstimmungen zu gewinnen. Er produziert glanzvolle Bilder, umgarnt Journalisten in der Regierungsmaschine, zeigt sich als Bro unter anderen Bros und strickt an der Erzählung, er habe Deutschland aus dem europapolitischen Dornröschenschlaf wachgeküsst, in den Scholz uns jahrelang hineinnarkotisierte.

Merz hat zudem klare Antagonisten, das ist immer gut für eine Erzählung: Russland attackiert nach wie vor die Ukraine, demonstrativ schlägt der Kanzler in den kommenden Tag in Kiew auf. Amerika bleibt ein unsicherer Kantonist, was die Nato angeht. Da kann der neue Kanzler mit Stärke punkten, wohl wissend, dass Trump als "Strong Man" (starker Mann) nur die Sprache der Stärke versteht. Es war daher klug, dass Merz sich ausdrücklich Einmischung der Amerikaner verbeten und der Trump-Administration ein absurdes Deutschlandbild vorgeworfen hat, noch bevor die beiden telefonierten.

Merz' autoritäre Art des Auftretens passt dazu. Sie ist zwar sein Schwachpunkt, wenn es um öffentliche Auftritte vor Medien geht - er hatte etliche arrogante Momente, die ihm vor allem geschadet haben. Im Umfeld der "Strong Men" ist es aber womöglich genau die richtige Tonlage.

Die Apokalypse ist fern

Gut, manche Dinge muss Team Merz noch üben. Kurz nach seiner Wahl tauchte ein Video auf, dass vermutlich Aufbruchstimmung verbreiten sollte. Es sah ein wenig aus und hörte sich so an, wie ein berufsgenossenschaftlicher Lehrfilm aus den Neunziger Jahren über Sicherheit am Arbeitsplatz.

Aber wenn ein dusseliges Video und ein kurzes Stottern im ersten Wahlgang die größten Probleme sind, ist die Apokalypse noch ferner als alle Hoffnung.

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