Die Mindestlohndebatte beschäftigt auch die Landwirtschaft. Arbeitgeber warnen vor gravierenden Folgen für ihre Betriebe. Der DGB hingegen verteidigt eine etwaige Anhebung.
Die Reben von Volker Freytag wachsen in langen Zeilen auf seinem Gelände in Neustadt an der Weinstraße. Sie sollen später in Weinbergen in ganz Europa gepflanzt werden. Doch bis es so weit ist, steckt viel Handarbeit in der Bewirtschaftung - Arbeit, die bislang noch nicht vollständig von Maschinen übernommen werden kann. Es ist eine Arbeit, die ihren Preis hat.
Tatsächliche Kosten für Arbeitgeber höher als Mindestlohn
Genau das bereitet dem Geschäftsführer des mittelständischen Betriebs Sorgen. Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro würde für ihn als Arbeitgeber zur Herausforderung, erklärt Freytag: "Das bedeutet, dass wir Schwierigkeiten haben, konkurrenzfähig zu sein." Denn seine Reben verkaufe er unter anderem ins Ausland, wo er mit Betrieben im Wettbewerb stehe, die entweder keinen oder einen deutlich niedrigeren Mindestlohn zahlten. "Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass wir schließen müssen."
Etwa 30 Menschen arbeiten in seinem Betrieb, der sich auf die Veredelung junger Reben spezialisiert hat. Viele seiner Mitarbeiter kommen aus dem Ausland. Für sie stellt Freytag Unterkünfte zur Verfügung und hat weitere Kosten, wie etwa den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Bei einem Mindestlohn von 15 Euro würden seine tatsächlichen Kosten auf rund 20 Euro pro Stunde steigen, sagt er. "20 Euro für jemanden, der keinen Beruf gelernt hat, der der Sprache nicht mächtig ist. Da fehlen mir die Relationen."
Umstieg oder Aufgabe
Auch Johannes Zehfuß, Vizepräsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Pfalz Süd und CDU-Landtagsabgeordneter, sieht eine Erhöhung des Mindestlohns kritisch. Für viele Gemüsebauern sei ein wirtschaftlicher Betrieb bei einem Mindestlohn von 15 Euro kaum noch möglich, sagt er. Besonders Kulturen, die einen hohen Anteil an Handarbeit erfordern - etwa Salat, Radieschen oder Spargel - würden unter diesen Bedingungen unrentabel.
Den betroffenen Landwirten blieben seiner Einschätzung nach nur zwei Optionen: entweder auf weniger arbeitsintensive Pflanzen wie Kartoffeln umzusteigen - oder den Gemüseanbau ganz aufzugeben. Zehfuß selbst hat seinen eigenen Betrieb bereits umgestellt: "Wir haben alle Kulturen, bei denen viel Handarbeit nötig ist, aus dem Anbau genommen." Nun produziere er nur noch Kulturen, die mit geringem Arbeitskrafteinsatz zu führen sind.
Gewerkschaften fordern höheren Mindestlohn
Dass ein höherer Mindestlohn viele Betriebe zur Aufgabe zwingen würde, davon geht der Deutsche Gewerkschaftsbund dagegen nicht aus. "Wenn heute Betriebe in ihrer Existenz gefährdet sind, liegt das meist an gesamtwirtschaftlichen Faktoren wie hohen Energiepreisen, gestiegenen Betriebsmittelkosten oder klimabedingten Ernteausfällen", erklärt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell gegenüber tagesschau.de. "Die Verantwortung für betriebliche Herausforderungen allein auf die Beschäftigten abzuwälzen, ist weder fair noch zielführend."
Körzell sieht die größere Herausforderung für kleine landwirtschaftliche Betriebe nicht in einer Erhöhung des Mindestlohns, sondern im Wettbewerb mit häufig industriell organisierten Großbetrieben. "Gleichzeitig sorgt der Mindestlohn dafür, dass Lohn-Dumping nicht länger zum Geschäftsmodell taugt", sagt Körzell.
Schon jetzt gibt es Sonderregeln für Saisonarbeiter
Außerdem verweist der DGB auf bestehende Sonderregelungen - etwa für Saisonarbeiter, wie sie häufig in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Wenn sie lediglich 70 Tage in Deutschland arbeiten, fallen sie unter bestimmten Bedingungen nicht unter die Sozialversicherungspflicht. Der Entwurf des neuen Koalitionsvertrags von Union und SPD sieht vor, diesen Zeitraum auf 90 Tage zu verlängern.
Kritiker einer Mindestlohnerhöhung bezweifeln aber auch, dass die Beschäftigten nach einer Erhöhung tatsächlich mehr Geld zur Verfügung haben. "Die Arbeitnehmer haben gar keinen Vorteil dadurch", sagt beispielsweise Volker Freytag. "Wir haben es mal hochgerechnet: Bei der letzten Erhöhung hatten wir Leute dabei, die kriegen einen Euro mehr - im Monat." Durch die höheren Sozialversicherungsbeiträge und die gestiegene Lohnsteuer sei die Erhöhung letztlich aufgefressen worden, behauptet Freytag.
Der DGB widerspricht dieser Einschätzung. Selbst bei gestiegenen Abgaben bleibe unter dem Strich ein spürbarer Netto-Gewinn, erklärt Körzell. Darüber hinaus würden Beschäftigte von ihren höheren Einzahlungen auch langfristig profitieren, etwa durch bessere Rentenansprüche.