Meinung: Fußball, du geile Sau

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Unser Autor hatte den Fußball fast abgeschrieben. Das Champions-League-Halbfinale zwischen Inter Mailand und Barcelona lässt aber eine alte Liebe wieder aufflammen.

Es gibt diese Fußballspiele, die einem nachhaltig in Erinnerung bleiben werden. Noch heute gilt das WM-Halbfinale 1970 zwischen Italien und Deutschland als das Beste der WM-Geschichte. Jeder kann sagen, wo er war, als Mario Götze 2014 Deutschland zum WM-Titel schoss. Und in Jahren wird man sich noch an das Champions-League-Halbfinale zwischen Inter Mailand und Barcelona erinnern. Schon das Hinspiel vor einer Woche in Barcelona war mitreißend, was beide Teams aber am Dienstag im altehrwürdigen Giuseppe-Meazza-Stadion zeigten, war nichts anderes als epochal, eine "Ode an die Fußballgeschichte", wie es die spanische Zeitung "Marca" schreibt. Eine Schlacht zweier Teams, die sich mit völlig gegensätzlichen Spielphilosophien gegenüberstehen und Werbung für den Sport machen, der mittlerweile häufig im Hintergrund steht. 

Auf der einen Seite Mailand, eine Mannschaft, bei der die Hälfte des Kaders in anderen Ländern mittlerweile in Altersteilzeit wäre – der FC Bayern und Thomas Müller könnten dazu sicherlich was beitragen. In Italien aber scheinen sie geradezu im besten Fußballeralter angekommen zu sein. Wie ist es anders zu erklären, dass ein 37-jähriger Innenverteidiger in der Nachspielzeit seine Farben in die Verlängerung rettet und über 120 Minuten über den Platz rennt wie ein junger Hirsch? Wie anders ist es zu erklären, dass ein in der Bundesliga ausgemusterter 36 Jahre alter Torwart sein vielleicht bestes Spiel seiner durchaus illustren Karriere abliefert?

Inter Mailand gegen Barcelona: Unterschiedlicher können die Vereine kaum sein

Auf der anderen Seite eine Mannschaft, die durch einen deutschen Trainer neues Leben eingehaucht bekommen hat und mit ihrem Spielwitz verzückt. Hansi Flick hat aus einem Haufen talentierter Spieler die vielleicht aufregendste Mannschaft Europas geformt. Eine Mannschaft, die durch Lamine Yamal getragen wird, einen 17-Jährigen, dessen Talent unermesslich scheint und den man unweigerlich mit Lionel Messi vergleichen muss. Eine Mannschaft, deren Abwehrchef Pau Cubarsi, ein 18-Jähriger ist, der zwar einen Elfmeter verursachte, aber die Ruhe und Gelassenheit eines 35-Jährigen ausstrahlt. Eine Mannschaft, die, wenn sie weiter ihre Talente so entwickelt, wieder ein großes Versprechen an den spanischen Fußball ist.

Nein, man muss den Fußball nicht lieben. Nicht mehr, möchte man heutzutage sagen. Zu viel läuft dafür schief, egal ob beim europäischen Kontinentalverband Uefa oder dem Weltverband Fifa. Die Wettbewerbe werden immer aufgeblähter, Stichwort Weltmeisterschaft mit 48 (und vielleicht auch bald 64) Teilnehmern. Nebenbei die Vergabe in Länder, deren Handhabung von Menschenrechten eher optional anzusehen ist. Dazu Wettbewerbe, deren fußballerische Bedeutung minimal ist, außer für den Geldbeutel der Verbände, Stichwort Nations League oder Klub-WM. Gleichzeitig immer mehr Investoren, die sich in die Mannschaften einkaufen und astronomische Gehälter und Ablösesummen rechtfertigen. Die Verfehlungen im Weltfußball der vergangenen zwei Jahrzehnte sind lang und größtenteils, so muss man es als traditioneller Fan sagen, verachtenswert. Da ist die Langeweile der Bundesliga, die in den vergangenen zwölf Jahren mit München elf Mal den gleichen Meister hervorgebracht hat, schon nur noch ein Randaspekt.

Es ist symptomatisch, dass zwei Mannschaften das vielleicht beste Halbfinale der Champions-League-Geschichte abliefern, die gefangen sind in all dieser Hässlichkeit des Sports: Inter Mailand ging im vergangenen Jahr in den Besitz von Oaktree über, nachdem der vorherige Besitzer Schulden in Höhe von 400 Millionen Dollar bei der US-Investorengesellschaft nicht beglichen hatte. Bereits seit der Übernahme gibt es Spekulationen, dass Oaktree Inter wieder verkaufen will – für kolportierte zwei Milliarden Euro. Der Fußball verkommt zum Spekulationsobjekt, ein weiterer bedauernswerter Aspekt der Entwicklungen.

Für 120 Minuten rückt die Hässlichkeit des Sports in den Hintergrund

Dazu Barcelona, dessen Schuldenberg mittlerweile größer ist als das eigene Stadion. Ende Juni vergangenen Jahres bezifferte Präsident Joan Laporta die Nettoverschuldung des Vereins auf 560 Millionen Euro. Die kurz- und langfristigen Verbindlichkeiten belaufen sich auf 2,626 Milliarden Euro. Selbst der spanischen Liga wurde das Treiben bei Barca zuletzt zu bunt und verweigerte die Spiellizenz für Dani Olmo und Pau Victor – die dann vom obersten Sportgerichtshof Spaniens bewilligt wurden.

Für 120 Minuten rückten die Gedanken an all das, was einen beim Fußball durchaus anwidern kann, am Dienstagabend komplett in den Hintergrund. Die Dramatik des Spielverlaufs mit der frühen Zwei-Tore-Führung für Mailand, einem wie aufgedreht wirkenden Barcelona in Halbzeit zwei, das die Partie in einer Leichtigkeit drehte, sowie dem Mailänder Ausgleichstor in der Nachspielzeit und dem Siegtor in der Verlängerung. All das stellte etwas in den Vordergrund, das eigentlich immer dort stehen sollte: den Sport selbst. Ein Spiel, das einen in Ekstase versetzte. Ein Spiel, bei dem die Emotionen wogten wie ein Meer. Ein Spiel, bei dem man traurig ist, wenn es vorbei ist und doch froh ist, dabei gewesen zu sein. Ein Spiel, an das man sich noch in Jahren erinnern wird.