
Es wird Zeit, dass die Regierung loslegt. Das täte sogar den ortsüblichen Kritikern gut, die langsam hohldrehen. Eines allerdings sollte die neue Regierung unbedingt vermeiden.
Die SPD-Mitglieder haben mit einem eher matten als strahlenden Votum "Ja" gesagt und den Koalitionsvertrag besiegelt. Noch ein paar Tage also, und Friedrich Merz kann die letzte Hürde nehmen. Wenn nicht mehr als 12 der 328 Abgeordneten von SPD und CDU/CSU ihre Zustimmung verweigern, wird er am kommenden Dienstag im Bundestag zum Kanzler gewählt. Und nicht nur er selbst wird denken: endlich!
Tatsächlich hat man lange nicht mehr so dringend auf eine Bundesregierung gewartet wie auf diese. Die Welt ist wie aus den Fugen und Deutschland ohne Führung. Deutschlands Wirtschaft wächst seit Jahren nicht mehr, die meisten Probleme werden rasch größer und nicht kleiner. Daran gemessen waren die Koalitionsverhandlungen zügig, also der Lage entsprechend.
Umso mehr nerven die ebenso gut geölten wie althergebrachten Reaktions-Reflexe. Als da wären:
Erstens: Weil ein Minister und eine Ministerin direkt aus den Chefetagen großer Konzerne kommen, wittert unter anderem LobbyControl, man ahnt es, "Interessenkonflikte". Das klingt vergleichsweise vornehm, bedeutet in Wahrheit jedoch eine krasse Charakter-Unterstellung: Korruption. Muss das sein? Wem nutzt ein unbelegtes Misstrauen, nach dem Seitenwechsel werde der Verdächtige als allererstes eine Straftat folgen lassen?
Arg widersprüchlich bis dämlich ist auch, dass dieser Generalverdacht gegen Leute mit Wirtschafts-Erfahrung Hand in Hand geht mit dem Generalverdacht gegen "Berufspolitiker", die mithin keine Wirtschafts-Erfahrung haben. Berufspolitiker stehen seit langem in schlechtem Ruf, der sich paradoxerweise in dem Wortteil "Berufs-" niederschlägt. Das passiert einem (Berufs-)Klempner oder einem (Berufs-)Chirurgen nicht. Jeder wünscht sich, dass sie Profis mit einschlägiger Ausbildung seien, wenn man mit ihnen zu tun bekommt.
Ein anderer Reflex, der nervt: Mit Wolfram Weimer wird ein bekennender Konservativer Kulturstaatsminister. Große Erfahrung mit Bühnen und Museen bringt er wohl nicht mit, das lässt sich gewiss bemängeln. Aber der eigentliche Vorwurf ist ein anderer: dass er, im Unterschied zum Großteil des Kulturbetriebes, nicht links der Mitte steht, sondern rechts davon, und das in mitunter blumige Worte kleidet. Im Klartext lautet der Vorwurf also: Ein konservativer Regierungschef holt einen Konservativen in seine Mannschaft. Richtig: Das ist ein lächerlicher Vorwurf. Die aktuelle Kulturförderung mit Subventionen muss ja nicht allein deswegen perfekt gewesen sein, weil sie von einer Grünen und einem SPD-Kanzler verantwortet wurden, die der Szene vermutlich näher standen.
Und schließlich die Reflexe von rechts(außen): Alles, was die neue Regierung machen will, aber zumeist noch gar nicht gemacht hat, ist deshalb ganz schlimm, weil CDU und CSU mit der SPD koalieren, mithin auch Kompromisse nötig waren. Klar, jede Opposition darf behaupten, dass sie selbst alles besser machen würde. Aber es ist auf Dauer schrecklich langweilig. Und im Fall der AfD auch noch sehr wohlfeil: Sie weigert sich, auf andere Parteien zuzugehen, indem sie sich etwa von ihren verbrieft Rechtsextremen trennt. Stattdessen fordert sie, dass die anderen Parteien, besonders die CDU, auf sie zugehen - und die Rechtsextremen gleichsam in Kauf nehmen. Kurzum: Die AfD beklagt, dass sie nicht mitregieren darf, aber sie verhöhnt, was man dazu nun einmal braucht: Kompromissbereitschaft.
Wenn die neue Regierung einen Fehler unbedingt vermeiden sollte, dann diesen: diese Art Ungeduld und die Sehnsucht nach einem vermeintlichen "Durchgreifen" auch noch selbst zu schüren. Die Regierung sollte schnell beginnen zu handeln, aber nicht davon schwadronieren, die Stimmung im Land "bis zum Sommer" zu drehen. Sommeranfang ist in weniger als 100 Tagen. Diese Frist sollte sich der neue Kanzler schon selbst geben.