Neuaufstellung: Können Bas und Klüssendorf die SPD aus der Sinnkrise führen?

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Die SPD sortiert ihre Spitze neu: Arbeitsministerin Bärbel Bas will SPD-Chefin werden, der Parteilinke Tim Klüssendorf Generalsekretär. Beide haben eine gemeinsame Mission.

Das Atrium des Willy-Brandt-Hauses war zuletzt Schauplatz zahlreicher Umbrüche in der SPD, nach der verpatzten Bundestagswahl vor allem personeller Art. Einen "Generationenwechsel" hatte Lars Klingbeil, das personifizierte Machtzentrum der Partei, angekündigt. Neue Gesichter, auch an der Spitze. Dieses Versprechen nimmt nun Gestalt an.

Bärbel Bas, 57, und Tim Klüssendorf, 33, sollen künftig Schlüsselrollen zukommen. Die neue Arbeitsministerin und bisherige Bundestagspräsidentin Bas strebt den SPD-Vorsitz an, nur einen Tag nach dem angekündigten Rückzug von Noch-Chefin Saskia Esken. Klüssendorf, bisher Chef der Parteilinken in der Bundestagsfraktion, soll neuer Generalsekretär werden und somit zum obersten Lautsprecher seiner Partei. Er übernimmt zunächst kommissarisch von Matthias Miersch, der gerade zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Beide Personalien müssen Ende Juni noch auf dem SPD-Parteitag bestätigt werden, was Formsache sein dürfte. 

"Es ist mir nicht ganz leichtgefallen", sagt Bas am Montagvormittag in der Berliner Parteizentrale über ihre Kandidatur für den Parteivorsitz, es handle sich um eine "historische Aufgabe". Allerdings sage sie immer: "Wenn's leicht wäre, könnten es auch andere machen." Das sorgt für kurze Heiterkeit im Publikum.

Auch dem designierten Generalsekretär Klüssendorf mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Die SPD müsse ihre Hausaufgaben machen, fordert er, und sich nach der Bundestagswahl, "die uns allen noch in den Knochen steckt", die Karten legen. Wenn Klüssendorf diese Politphrasen mit Leben erfüllt, könnte es noch ungemütlich werden.

Unruhe in der SPD

Derweil wächst die Unruhe an der Basis über das Agieren der Parteiführung und den schleppenden Aufarbeitungsprozess. Auch vor diesem Hintergrund dürfte Klingbeil bei der Präsentation von Bas und Klüssendorf seine Vision für die SPD demonstrativ herausgestellt haben. Bei den Landesparteitagen in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) und auf Husum (Schleswig-Holstein) am Wochenende hatten ihm insbesondere junge Delegierte die "Abstrafung" von Esken vorgeworfen, während Klingbeil selbst Ämter anhäufe und seine Macht ausbaue. Kritisiert wurde er auch dafür, keine programmatische Vision für die Partei zu haben. 

So viel immerhin ist klar: Die SPD-Doppelspitze solle "selbstverständlich" beibehalten werden, betont Klingbeil. Bas lobt er als eine "starke Ministerin, starke Nordrhein-Westfälin, eine starke Frau", dem designierten Generalsekretär Klüssendorf verspricht er eine "herausfordernde Aufgabe (…), auch mit all dem, was gerade in der SPD los ist". Der 33-Jährige werde dafür sorgen, dass die SPD "sichtbar" und "hörbar" bleibe, schließlich sei die Partei mehr als eine Regierungsbeteiligung, sagt Klingbeil. Botschaft an die Basis: Kritik ist angekommen.

Dort hält sich die Begeisterung für die alternativlose Koalition mit der Union in Grenzen. Schließlich wurde die SPD bei der Bundestagswahl auf einen historischen Tiefstwert gestutzt, stellt im Bundestag nur noch die drittstärkste Fraktion. Bärbel Bas musste ihr Amt als Bundestagspräsidentin an Julia Klöckner von der CDU abgeben. An Einfluss eingebüßt hat die Genossin aber nicht – im Gegenteil. 

Bas gehört wie Esken der Parteilinken an, wird in der SPD aber flügelübergreifend geschätzt. Ihren Wahlkreis in Duisburg hat sie zum fünften Mal in Folge direkt gewonnen, gegen den Trend. Das hat Seltenheitswert und verschafft ihr in der Bundespartei, aber auch im einflussreichen NRW-Landesverband besondere Autorität. 

Es sei wichtig, vor Ort ansprechbar und sichtbar zu sein, sagte Bas kürzlich dem stern. Die Menschen wollten keine abgehobenen Politikerinnen und Politiker, die sich nicht mehr um vermeintlichen Kleinkram kümmerten. Auch im Willy-Brandt-Haus betont Bas ihre Bodenhaftung; ihren Lebensweg, den viele Menschen in Deutschland hätten. 

Nach dem Hauptschulabschluss lernte sie Schweißen auf der Berufsfachschule, ging später zur Duisburger Verkehrsgesellschaft und stieg durch allerlei Zusatzausbildungen in eine Führungsposition auf. 1988 trat sie, im Alter von 20 Jahren, in die SPD ein. 2009 wurde sie erstmals in den Bundestag gewählt und empfahl sich dort als Gesundheitspolitikerin, bevor sie 2021 zur Parlamentspräsidentin gewählt wurde. Sie ist Fußballfan (MSV Duisburg) und fährt eine Harley-Davidson (Low Rider). Als Parteivorsitzende wolle sie für soziale Sicherheit und Bildungsgerechtigkeit stehen.

Das passt sicher zu ihrem neuen Ministeramt, dürfte aber nicht ohne Reibungsverluste ablaufen. Schon jetzt sorgt das SPD-Wahlversprechen von einer Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro für Verwerfungen im frischen Regierungsbündnis und Bas hat mit ihrem jüngsten Vorstoß, auch Beamte in die Rentenkasse einzahlen zu lassen, den Koalitionspartner vor den Kopf gestoßen.  

"Ich glaube schon, dass wir da noch Luft nach oben haben"

Künftig wird es an Generalsekretär Tim Klüssendorf sein, diese kleinen Sperenzchen auszuräumen. Als einziger SPD-Abgeordneter in Schleswig-Holstein konnte der 33-Jährige sein Direktmandat in Lübeck verteidigen, hat sich in der vergangenen Legislaturperiode als versierter wie unbequemer Finanzpolitiker empfohlen – was angesichts Klingbeils neuer Rolle als Finanzminister kein Nachteil für die öffentliche Einordnung sein dürfte.

Beim SPD-Bundesparteitag hatte Klüssendorf einen Antrag der SPD-Spitze zur Steuerpolitik "noch etwas auseinandergenommen", wie Klingbeil bei Klüssendorfs Vorstellung berichtet. "Das hat mir damals schon imponiert, dass da jemand in seiner ersten Legislatur auch sagt: Ich habe hier mitzureden." In einer SPD-Fraktionssitzung zählte Klüssendorf seinerzeit Kanzler Olaf Scholz mit den Worten an: "Wir brauchen einen Plan B."

Bis zum Parteitag Ende Juni, dessen Vorbereitung Klüssendorf qua Amt federführend übernimmt, dürften der SPD noch einige Debatten ins Willy-Brandt-Haus fallen. Der interne Umgang mit der scheidenden Chefin Saskia Esken, die schon zutage getretenen Konfliktlinien zwischen Schwarz-Rot, nicht zuletzt die Aufarbeitung des SPD-Wahlergebnisses.

Zumindest die personelle Erneuerung der SPD-Führungskräfte scheint vorerst abgeschlossen. Es gilt als wahrscheinlich, dass Klingbeil erneut als Vorsitzender kandidieren wird, wenngleich der Vizekanzler und Finanzminister im schwarz-roten Bündnis seine Absichten noch nicht offiziell erklärt hat.

Sowohl Bas als auch Klüssendorf betonen ihren eigenen Anspruch – und werden sich daran messen lassen müssen. Es komme jetzt darauf an, sagt Bas, wie sich die Partei im Team neu präsentiere. Klüssendorf will die SPD "programmatisch fit für die Zukunft" aufstellen: "Ich glaube schon, dass wir da noch Luft nach oben haben."