Reisners Blick auf die Front: "Mit Blick auf Freitag ist Russland hochnervös"

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Am Samstag präsentiert die Ukraine ein Video, das den Abschuss eines russischen Kampfjets zeigt - von einer Drohne im Wasser aus. Und auch an Land werden die unbemannten Objekte immer wichtiger. Vor allem jetzt, vor dem 9. Mai, sagt Militärexperte Oberst Markus Reisner. Putin will seine Armee als überlegene Streitkraft präsentieren. Die Ukrainer wollen genau das verhindern.

Ntv.de: Herr Reisner, der ukrainische Militärgeheimdienst HUR meldete vorgestern, man habe zwei russische Kampfjets abgeschossen. Überwasser-Drohnen hätten Raketen abgefeuert und zwei Su-30 vom Himmel geholt. Wie bewerten Sie die Meldung?

Markus Reisner: Das war ein Highlight der letzten Tage. Vor allem mit Blick darauf, dass die Ukraine eigentlich gar keine eigenen potenten Seestreitkräfte hat. Immer wieder schafft sie es trotzdem, in dieser Domäne Erfolge zu erzielen - besonders mit unbemannten Überwasser-Systemen.

Diese maritimen Drohnen sehen zunächst aus wie Schiffe, sind aber autonom gesteuert?

Genau, diese autonomen Systeme wirken optisch wie kleine Speedboote, und sie haben schon mehrfach erfolgreich russische Schiffe angegriffen. Mit den Drohnen ist es gelungen, in Marinehäfen einzudringen, aber nicht nur das: Sie haben auch nicht wenige Schiffe versenkt und so die russische Schwarzmeerflotte letztlich an den Rand des Schwarzen Meeres gedrängt, in das Gebiet östlich der Krim. Zwischen Februar 2022 und Juni 2024 wurden nachweislich insgesamt 26 russische Schiffe beschädigt oder versenkt.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front. Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.

(Foto: privat)

Was entwickelt denn die russische Seite, um sich zu wehren?

Zunächst haben die Russen versucht, die Drohnen mit Marinehubschraubern früh zu erkennen und dann zu zerstören. Auch Kampfjets kamen zum Einsatz. Daraufhin begann die ukrainische Seite ihre unbemannten Systeme auch mit Fliegerabwehrwaffen zu bestücken. Das ist bemerkenswert. In der Vergangenheit ist es bereits zweimal gelungen, mit den Luftverteidigungssystemen einen feindlichen Kampfhubschrauber zu zerstören. Das neue Highlight wäre nun also die zerstörte Su-30SM vom Samstag. Die Ukrainer sprechen sogar von zwei abgeschossenen Jets, aber die russische Armee hat erst einen bestätigt.

Bedeutet dieser Abschuss, dass die Drohnen qualitativ nochmals einen Schritt nach vorn gemacht haben?

Ein Hubschrauber ist ein relativ langsam fliegendes Ziel. Mit der Su-30SM ist es den Ukrainern aber gelungen, ein sehr schnell fliegendes Ziel zu bekämpfen. Das ist bemerkenswert.

Nun ist der Ukrainekrieg ja aber in erster Linie ein Landkrieg. Wie können sich maritime Erfolge auswirken? Oder steht ein solcher Kampfjet-Abschuss einfach nur als Erfolgsmeldung im Raum?

Einen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf der Frontkämpfe in der Ukraine hat das nicht. Schauen wir uns aber an, wie die Russen Marschflugkörper gegen Ziele der kritischen Infrastruktur in der Ukraine einsetzen: Diese sehr potenten Waffen werden nicht nur von Flugzeugen aus dem sicheren russischen Luftraum abgefeuert, sondern auch von Schiffen aus, die sich entsprechend an die ukrainische Küste annähern. Werden die russischen Marinestreitkräfte aber aus dem Schwarzen Meer hinausgedrängt, dann unterbindet das die Fähigkeit der Russen, von dort aus mit Marschflugkörpern anzugreifen. Die Russen haben sich nun komplett darauf verlagert, ihre Schiffe aus dem Asowschen Meer heraus einzusetzen und nicht mehr im Schwarzen Meer.

Dort kommen die ukrainischen Drohnen nicht hin?

Sie müssten durch ein Nadelöhr, nämlich die Straße von Kertsch, also unter der Kertschbrücke hindurch. Die Brücke war übrigens auch schon Ziel von Angriffen der unbemannten Schiffe. Die Straße von Kertsch ist von der russischen Seite sehr gut gesichert, dort können die Ukrainer kaum mit unbemannten Überwasser-Drohnen eindringen. Hinzukommt eine weitere Herausforderung. Stichwort: Starlink.

Elon Musks Satellitennetzwerk - werden die maritimen Drohnen darüber gesteuert?

Ja, bei den zwei Gelegenheiten, bei denen Musk sein System abgeschaltet hatte, verloren die Ukrainer während eines Angriffs den Kontakt zu den Booten. Die waren plötzlich führungs- und steuerungslos auf dem Wasser unterwegs und wurden an die Küste der Krim angeschwemmt.

Oha, und die Russen haben sie erbeutet?

Und ihre Technik analysiert, um ihrerseits neue Abwehrstrategien dagegen zu entwickeln.

Wäre die Entwicklung einer Unterwasserdrohne denkbar, die besser geschützt versuchen könnte, die Straße von Kertsch zu passieren?

Das wäre der nächste Schritt. Die Herausforderung dabei: Unter Wasser ist das elektromagnetische Spektrum nicht in der Form vorhanden wie über Wasser. Das bedeutet, Drohnen unter Wasser zu führen mittels Satellitenkommunikation oder durch Funksteuerung, ist enorm schwierig. Eigentlich fast unmöglich. Man müsste das drahtgesteuert machen.

Nochmals zurück zu dem Jet-Abschuss vom Samstag: Eine gute Meldung für die Ukraine war das aber schon, oder?

Unbedingt. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben in Kürze den 9. Mai, am kommenden Freitag. Der wird in Moskau als "Tag des Sieges" der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland 1945 mit einer großen Militärparade gefeiert. Russland ist also hochnervös. Man bereitet sich auf diese Feierlichkeiten vor, zugleich versucht die Ukraine alles, um diese Feierlichkeiten zu stören und vor allem, um der russischen Seite keinen Moment des Triumphs zu geben. Eine Meldung wie der Kampfjet-Abschuss gehört dazu, ebenso der erneute ukrainische Vorstoß auf russisches Gebiet im Raum Kursk.

Dieser Vorstoß ist von heute. Wie nachhaltig könnte er sein? Vor allem, nachdem es in den vergangenen Wochen nur in die Gegenrichtung ging?

Die Ukrainer versuchen hier, im Informationsraum wieder die Initiative zurückzugewinnen. Wenn Russland nun behauptet, man hätte den kompletten Raum bei Kursk und Belgorod befreit, so stimmt dass ab sofort nicht mehr. Obwohl der ukrainische Angriff ein Himmelfahrtskommando ist, ist er bei der Stadt Tetkyno an einer sehr günstigen Stelle vorgetragen. Die Russen müssen nun neuerlich Kräfte verlagern, um die Ukrainer zu zerschlagen oder hinauszudrängen. Die Ukrainer sind zudem durch den Fluss Seim, hinter dem sie stehen, günstig abgesichert.

Die Militärparade betrachtet Kiew nach eigener Aussage als legitimes Ziel von Angriffen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellt in den Raum, dass die Sicherheit der Staats- und Regierungschefs, die an dieser Parade als Zuseher teilnehmen, nicht gewährleistet sei, denn das auf dem Roten Platz gezeigte russische Militärgerät sein ein legitimes ukrainisches Angriffsziel. Russland hat einiges an Flugabwehr zusammengezogen, um Angriffe auf die Parade nahezu unmöglich zu machen.

Und was tut Russland ansonsten mit Blick auf den 9. Mai?

Wir sehen laufend russische Angriffe entlang der gesamten Frontlinie. Von Saporischschja im Süden bis hinauf nach Sumy nimmt die Zahl der Kämpfe deutlich zu. Im Nordabschnitt ist der Raum Kursk quasi komplett in Besitz genommen. Im Mittelabschnitt, also vor allem im Donbass, versuchen die Russen, bei Torezk einen neuen Kessel zu bilden und bei Pokrowsk Richtung Westen in die nächste Oblast vorzustoßen.

Im Süden, bei Saporischschja, sehen wir auch Angriffe, vor allem entlang des Dnipros und im Stadtgebiet von Cherson mit russischen Gleitbomben. Selenskyj sprach jüngst von bis zu 250 russischen Angriffen an einem Tag.

Und wenn Sie die Gesamtentwicklung betrachten?

Im April hat Russland etwa 175 Quadratkilometer in Besitz genommen. Das ist verglichen mit 133 Quadratkilometern im März eine deutliche Steigerung. Nach meinem Dafürhalten versuchen die Russen, vor Freitag noch ein Ergebnis zu erzielen.

Die Russen machen also entlang der gesamten Front erfolgreich Druck auf die ukrainischen Verteidiger. Welche Waffe ist im Gefecht gerade die entscheidende - kann man das sagen?

Die Bedeutung der First-Person-View-Drohnen wächst stetig, und zwar auf beiden Seiten. Ukrainer und Russen setzen massiv FPV-Drohnen ein, teilweise gesteuert über Glasfaserkabel, Diese Drohnen haben inzwischen operative Bedeutung.

"Operativ bedeutsam" heißt: Ihr Einsatz kann nicht nur mitentscheiden über den Ausgang eines konkreten Kampfes, sondern Verfügbarkeit und Einsatz der Drohnen ist für den Kampfverlauf an der gesamten Front elementar?

Ja. Die Spezial-Teams, die diese Drohnen einsetzen, schaffen mit ihnen sogenannte No-Go-Areas. Das sind Gebiete von 15 bis 20 Kilometern Tiefe auf beiden Seiten der Front, die so gut überwacht sind durch die Drohnen, dass ein Angriff sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Das betrifft die russische Seite umso mehr, weil sie täglich Angriffe versucht. Aber vor kurzem zeigte ein Video auch, wie ein ukrainischer Vorstoß inmitten russischer Drohnenattacken liegenblieb.

Mit Markus Reisner sprach Frauke Niemeyer

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