Sahra Wagenknecht gerät beim ARD-Talk von Caren Miosga mächtig unter Druck. Die Sendung eskaliert mehrfach in Streits.
Plötzlich gerät Sahra Wagenknecht ins Schlingern. Eigentlich soll es bei Caren Miosgas ARD-Talk am Sonntagabend um die Frage gehen, ob das im Januar gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Sachsen und Thüringen in eine Koalition mit der CDU eintreten kann und will. Doch die Sendung artet schnell in eine wilde Debatte aus. Und als Talkmasterin Miosga bei der Parteichefin beim Thema Sozialpolitik nachbohrt, gerät sie gehörig in die Defensive und ins Stocken.
Miosga, das wird von Anfang an klar, will nicht den Fehler begehen, der Polit-Talkerinnen und -Talker vor ihr begangen haben im Umgang mit Wagenknecht. Sie will Kontra geben und die populistische Politikerin, die immer wieder Fragen ausweicht, festnageln. Sie macht ihren Job besser, wenngleich nicht fehlerlos. Immerhin: Wagenknecht kommt anders als bei vorherigen Auftritten meist nicht dazu, die Moderatorin und andere Gäste einfach zu überschreien und etablierte Propaganda-Techniken wie Framing, Whataboutism oder firehose of falsehood (Feuerschlauch der Unwahrheit; hierbei werden möglichst viele Lügen, Halbwahrheiten oder Behauptungen ausgeschüttet, damit sie nicht alle widerlegt werden können), ohne Gegenwehr anzuwenden.
Aber von Anfang an. Nach einem kurzen Aufwärmen entwickelt sich die Sendung in eine Schnellfeuer-Diskussion. Es geht hin und her. Und als Miosga auf Tafeln für sozial Schwache, Bedürftige oder Obdachlose zu sprechen kommt, gerät Wagenknecht ins Wanken. Nachdem die Politikerin mehrfach betont, dass das BSW wisse, was die Menschen in Thüringen und Sachsen denken und es für Menschen einstehe, die ohne viel über die Runden kommen müssen, möchte die Talkmasterin wissen: Wie informieren Sie sich über deren Lebensumstände?
Sahra Wagenknecht stolpert über die Tafel
"Indem ich viel unterwegs bin. Indem ich dort bin", sagt Wagenknecht. "Wo? Sie sind bei den Tafeln?", fragt Miosga nach. Kurze Pause. "Ich war auch bei Tafeln. Ich habe auch mit Menschen gesprochen, die Tafeln unterhalten", antwortet Wagenknecht. Wann sie denn das letzte Mal bei einer Tafel gewesen sei, bohrt die Moderatorin nach. "Das letzte Mal bei einer Tafel …", setzt Wagenknecht an, aber führt den Satz nicht aus und will dann doch nur noch vor einem halben Jahr mit jemandem gesprochen haben, "der eine Tafel macht". Sie halte nichts davon, wenn Politiker mit Fotografen im Gepäck "zu einer Tafel zu gehen, um Stimmung für sich zu machen".
Dafür gäbe es aber viele Fotos, wie sie mit Unternehmen aus dem Mittelstand posiere, kontert Miosga. Und nicht nur gäbe es keine Fotos von Wagenknecht in Krankenhäusern oder in Kindergärten, auch bei den von der ARD-Redaktion kontaktierten Sozialverbänden in Thüringen, Sachsen und NRW könnte sich niemand daran erinnern, dass sie dort persönlich eine Einrichtung besucht hätte. Wagenknecht schaut perplex drein. Die BSW-Gründerin hört mit versteinerter Miene zu und errötet leicht. "Das stimmt nicht", antwortet sie schließlich. "Ich spreche mit den Menschen. Ich bekomme Mails von den Menschen. Die Menschen sprechen mich am Flughafen an."
Zuvor kracht es beim von Wagenknecht für Olaf Scholz verwendeten Begriff "Vasallenkanzler" - ein Wort, das bereits in der rechtsradikalen Rhetorik in der Weimarer Republik die Runde machte. Unter welcher Knechtschaft Olaf Scholz angeblich stehe, möchte Miosga wissen. Wagenknecht weicht aus und erklärt, es ginge um die weitreichenden US-Raketen, die 2026 in Deutschland stationiert werden sollen und die "Angriffswaffen" und keine Verteidigungswaffen seien. "Darf ich noch mal fragen: Wessen Vasall ist Olaf Scholz?", hakt die Talkmasterin nach. "Diejenigen, die Interessen an den Raketen haben, sind die USA", meint die Politikerin. Wieder Miosga: "Sie würden ernsthaft behaupten, Scholz ist der Vasall der Vereinigten Staaten?" Wagenknecht erklärt, der Kanzler habe in den Entscheidungen der letzten Jahre "relativ wenig Rückgrat und Statur vermittelt".
Hier verpasst es Miosga, deutlich zu machen, dass Wagenknechts Aussagen ähnlich russischer PR klingen, dass sie Falsch- und Desinformationen verbreitet und die Debatte bezüglich der russischen Gefahr durch Reframing vergiftet. Aber sie nagelt die Parteichefin beim Thema Sprache fest: "Das Wort Vasall insinuiert, dass Deutschland kein souveräner Staat ist." Wagenknecht: "Es geht nicht darum, was Deutschland ist. Es geht darum, wie sich der Kanzler verhält. Natürlich ist Deutschland ein souveräner Staat, aber wir haben keine souveräne Regierung, zumindest in ihren Entscheidungen."
Wagenknecht vs. Miosga: "Nein!" "Doch!"
Dann läuft die Diskussion immer stärker aus dem Ruder. Miosga führt an, dass es auch eine beliebte Methode der Reichsbürger sei, den Kanzler als "Vasall" zu betiteln. "Aber jetzt kommen Sie mir doch nicht damit", wütet Wagenknecht. "Nein, ich komme Ihnen damit", bleibt Miosga standhaft: "Haben Sie das von den Reichsbürgern oder die von Ihnen?" Sie lese nicht die Publikationen der Reichsbürger, meint Wagenknecht. "Aber Sie benutzen ihren Wortschatz!", meint Miosga. "Nein!" "Doch!" Während die Politikerin das Niveau nun "unterirdisch" findet, sieht die Moderatorin sie "in Gesellschaft mit Höcke, der die CDU als Vasall bezeichnet".
STERN PAID 34_24 Gefahr BSW 18.10
Gefährliche und spalterische Sprache bleibt ein Thema, als Wagenknecht einen Einspieler von ihr aus dem Jahr 2022 bekräftigt, der die Grünen als "verlogenste und gefährlichste Partei im Bundestag" bezeichnet. Es sei nicht die AfD, so die BSW-Gründerin, weil die Grünen mehr Schaden anrichten würden. Sie zählt etwa "hohe Energiepreise" oder eine "Wirtschaftskrise im Land" auf. Wieder verpasst es Miosga, die Behauptungen geradezurücken und etwa auf den Einfluss von Russlands Krieg hinzuweisen. Dass die AfD auch ohne Regierungsbeteiligung auf ganz andere Weise Schaden in Deutschland anrichtet, scheint der Parteichefin nicht in den Sinn zu kommen oder nichts auszumachen. "Ich setze mich damit auseinander, dass wir eine Politik im Land haben, die die Menschen wütend macht", sagt sie. Miosga wirft ihr vor, sie schüre "die Wut immer weiter".
Als die weiteren Gäste hinzustoßen, geht es noch kurz um das eigentliche Thema der Sendung, jedoch mündet die Diskussion mehrfach im Geschrei. Zwar erkennen sowohl Wagenknecht als auch Thorsten Frei, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an, dass ihre Parteien in Sachsen und Thüringen intensiv reden sollten, aber die BSW-Chefin bleibt dabei, dass außenpolitische Forderungen, wie keine US-Raketen und keine Waffenlieferungen an die Ukraine, in einen Koalitionsvertrag müssten. Und da scheinen die Parteien auf keinen gemeinsamen Nenner zu kommen.
BSW schließt AfD-Bündnis nicht explizit aus
Während Frei bekräftigt, es gehe bei der Stationierung der Waffen der USA "um unsere Sicherheit", weil in Russland Raketen mit Atomsprengköpfen warten, stellt sich Wagenknecht in die Kreml-Ecke: "Mit diesen Waffen könnte ein Enthauptungsschlag gegen Russland gestartet werden, weil man tief in russisches Territorium hereinkommt ohne große Vorwarnzeit." Das nenne man Abschreckung, sagt der CDU-Mann. "Es wird ein Wettrüsten geben. Wenn wir aufrüsten, zieht Russland nach", schreit nun Wagenknecht. "Nein, Russland zieht nicht nach, Russland geht voraus", brüllt Frei zurück. "Russland hat eine Kriegswirtschaft."
Miosga versucht noch einmal, aus Wagenknecht herauszukitzeln, ob es eine Koalition geben wird und wo sich eine rote Linie befindet. Doch die BSW-Chefin weicht aus und schließt auch ein Bündnis mit der AfD trotz mehrfacher Nachfrage nicht explizit aus. Frei erklärt, er "halte nichts davon", das BSW zum Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU hinzuzufügen.
Dann endet eine wilde Talk-Runde, die den Menschen in Sachsen und Thüringen wenig geholfen haben dürfte. Diese würden nach Ansicht von Sahra Wagenknecht, das betont sie immer und immer wieder, vor allem außenpolitische Veränderungen wollen. Ganz zum Schluss fügt sie noch hastig hinzu: "Und bessere Schulen."
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de