Abschied aus München: Badstuber über Müller: "Thomas hätte ein anderes Ende verdient"

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Thomas Müller bestreitet sein letztes Heimspiel. Ex-Teamkollege Holger Badstuber erzählt, wie wichtig Müller für die Kabine des FC Bayern war – und was an seinem Abschied befremdet.

Herr Badstuber, Ihr langjähriger Mitspieler Thomas Müller steht an diesem Samstag ein letztes Mal als Profi des FC Bayern vor heimischem Publikum in München auf dem Platz. Was wird dem Verein fehlen, wenn Müller im Sommer geht?
Wo soll ich da anfangen? Thomas Müller ist ein einzigartiger Spieler und eine Identifikationsfigur des FC Bayern. Er hat den Klub geprägt wie wenige vor ihm. Mit seinem Witz und seiner bayrischen Bodenständigkeit hat er verändert, wie der Verein wahrgenommen wird. Thomas hat den FC Bayern in den Augen vieler sympathischer gemacht. Das ist vielleicht eine seiner größten Leistungen. Aber mit seiner Art hat er nicht nur nach außen gewirkt, sondern auch nach innen.

Sie haben mehr als sieben Jahre als Profi zusammen mit Müller in München verbracht. Welche Rolle hat er innerhalb der Mannschaft gehabt?
Er war sehr geschätzt, auch weil er Druck vom Team genommen hat, indem er als Wortführer auf dem Platz früh Verantwortung übernommen hat. Mit seinem Humor hat er eine gewisse Leichtigkeit in die Kabine gebracht. Zudem hat er mediale Unruhen abmoderiert oder von der Mannschaft ferngehalten.

Wie meinen Sie das? 
Thomas hat nicht nur den Fußball verstanden, sondern auch das Spiel drumherum. Er weiß die Medien zu bedienen, mit seinen Sprüchen, mit seiner Art. Viele im Team waren dankbar, wenn Thomas sich nach einer Niederlage mal wieder ganz selbstverständlich vor die Presse gestellt hat.

Müller war 17 Jahre Profi in München, er machte mehr als 500 Bundesligaspiele für die Bayern. Wie ersetzt man so jemanden?
Das ist kaum möglich. Thomas ist einer der großen Spieler dieses Klubs, eine Legende. Eine Person allein wird die Lücke, die er hinterlässt, nicht schließen können.

Dieses Hin und Her, ob Thomas bleiben darf oder gehen soll, war nicht ideal

Das klingt, als hielten Sie es für einen Fehler, dass die Bayern ihm keinen weiteren Vertrag angeboten haben.
Ich glaube, dass er weiterhin einen Wert für die Mannschaft hätte haben können. Aber die Verantwortlichen werden sich etwas bei ihrer Entscheidung gedacht haben. Man hätte sie allerdings anders kommunizieren sollen. 

Inwiefern? 
Die Art und Weise wie der Abschied öffentlich wurde, dieses Hin und Her, ob er bleiben darf oder gehen soll, die unterschiedlichen Signale, das war nicht ideal. Der Verein hätte früher Klarheit schaffen müssen. Mit dem Zögern hat man das Tor für Spekulationen geöffnet und dann nur noch reagiert. Das wirkte etwas unglücklich. Thomas hätte ein anderes Ende verdient gehabt, nach allem, was er für den Verein geleistet hat. 

Holger Badstuber und Thomas Müller feiern die Meisterschaft 2013 auf dem Münchner RathausbalkonIn Feierlaune: Badstuber und Müller auf dem Münchner Rathausbalkon nach der Meisterschaft 2013
© imago sportfotodienst

Sie kennen Müller bereits aus der Zeit im Nachwuchsbereich des FC Bayern. Können Sie sich noch an den Müller von damals erinnern?
Er war schon immer der Thomas, der einfach nur kicken wollte. Er hat sich auf vielen Positionen ausprobiert. Irgendwann mit 15 oder 16 hat er einen Sprung gemacht. Damals fing er an, zu seinem unorthodoxen Spielstil zu finden. Thomas hat sich anders auf dem Platz bewegt als alle anderen. Seine Position gab es so vorher nicht, über die Jahre hat er das Spiel ein bisschen neu erfunden.

Zusammen trainierten Sie auch bei der zweiten Mannschaft des Klubs unter Trainer Hermann Gerland. Wie hat Sie beide diese Zeit geprägt?
Damals wurden wir zu Männern. Hermann Gerland ist ein Schleifer, ein Trainer mit harter Hand. Uns haben die Jahre mit ihm gutgetan, er hat uns auf den Profialltag vorbereitet. 

Den FC Hollywood gab es mit uns nicht

Stimmt es, dass Müller und Sie zu jener Zeit beinahe den Verein verlassen hätten? 
Ralf Rangnick wollte uns beide damals zur TSG Hoffenheim holen. Womöglich wäre es auch zum Wechsel gekommen, hätte Hermann Gerland nicht interveniert. Er hat Uli Hoeneß gesagt, dass es ein Fehler wäre, uns abzugeben. Dass er uns den Durchbruch bei Bayern zutraut. Er hat gewissermaßen für uns gebürgt. Er ist damit ein Risiko eingegangen, denn in den Jahren zuvor hatten in München kaum Spieler aus dem Nachwuchs den Sprung zu den Profis geschafft. 

Der Durchbruch gelang Ihnen beiden dann unter Trainer Louis van Gaal. 
Wir hatten Glück. Für eine Karriere im Fußball brauchst du nicht nur Talent, du musst auch zur richtigen Zeit auf die richtigen Leute treffen. Van Gaal war so jemand für uns, ein echtes Geschenk. 

Van Gaal galt in seinem Auftreten als autoritär. Hat seine Art Sie nicht eingeschüchtert?
Nein, aber er war natürlich eine Respektsperson. Thomas und ich waren jung, aber er hat uns sofort das Gefühl vermittelt, dass er uns eine Chance gibt. Wir haben sie genutzt. In den Jahren darauf haben wir mit dem Team einige Erfolge gefeiert, Titel geholt und vielleicht dazu beigetragen, dass sich das Bild des FC Bayern verändert hat. 

Weil es mit Ihnen wenig Drama gab? 
So könnte man es ausdrücken. Den FC Hollywood gab es mit uns nicht. Bei uns wurden keine Interna durchgestochen, wir lieferten uns keine öffentlichen Streitigkeiten. Wir waren anders, eine neue Generation. Wir haben uns dafür nicht verstellt, wir waren einfach wir. Und ich glaube, damit konnten sich viele identifizieren. 

Badstuber und Müller vor einem DFB-Spiel neben Manuel NeuerBayernblock: Badstuber und Müller neben Manuel Neuer vor einem Länderspiel des DFB-Teams im Herbst 2011
© imago sportfotodienst

Müller und Sie spielten die WM 2010 und die EM 2012, Sie schafften es 2012 gemeinsam ins Finale der Champions League. Dann entwickelten sich Ihre Karrieren in unterschiedliche Richtungen.
Ich hatte immer wieder mit schweren Verletzungen zu kämpfen. Thomas ist es gelungen, so gut wie nie ernsthafter verletzt zu sein.

Zweimal riss Ihnen ein Kreuzband. Als Müller 2013 mit den Bayern die Champions League gewann, als er im Jahr darauf mit der deutschen Nationalmannschaft den WM-Titel in Brasilien feierte, fehlten Sie verletzt. Wenn Sie auf Müllers Karriere blicken, denken Sie dann manchmal: Das hätte auch meine Laufbahn sein können?
Ich gönne Thomas alles, er hat es sich mehr als verdient. Mit seiner Vereinstreue verkörpert er Werte, die nicht nur im modernen Fußball selten geworden sind. Seine Karriere ist außergewöhnlich. Ich vergleiche mich nicht mit ihm.

Ich weiß nicht, ob ich jemals meinen Frieden damit machen werde

Haben Sie sich nie gefragt, was ohne die Verletzungen möglich gewesen wäre? 
Mir ist bewusst, dass bei mir noch einiges an Potenzial vorhanden gewesen wäre. Aber ich habe aufgehört, auf diese Weise über die Vergangenheit nachzudenken. Natürlich hatte ich Verletzungspech, aber das ist nun mal ein Risiko dieses Sports. Trotzdem habe ich eine gute Karriere hingelegt. Ich war Stammspieler bei meinem Lieblingsverein, ich stand gemeinsam mit Wahnsinnskickern auf dem Platz, ich habe etliche Titel gewonnen. Worüber sollte ich also traurig sein?

Wie haben Sie es geschafft, Ihren Frieden mit den vielen Verletzungen zu machen? 
Ich weiß nicht, ob ich jemals meinen Frieden damit machen werde. Ich hatte noch einiges vor in meiner Karriere. Aber die Zeit hilft, die Dinge zu akzeptieren, sie anzunehmen. Inzwischen ist mir klar, dass mich die Rückschläge als Mensch geprägt haben. Ich habe in dieser Zeit viel über das Fußballgeschäft und über mich als Person gelernt. Heute hilft mir das. Ich bin ja immer noch ein junger Mensch mit vielen Zielen im Leben. 

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© kolbert-press/Christian Kolbert

Sie kennen Thomas Müller seit mehr als 20 Jahren. Wie eng ist Ihre Verbindung heute nach Ihrer Spielerkarriere noch?
Was uns bis heute verbindet sind die Emotionen und Erlebnisse, die wir miteinander geteilt haben. Es ist ein Gefühl, das schwer zu beschreiben ist. Es hat mit Vertrautheit zu tun. Wir kennen uns seit der Jugend, wir wurden gemeinsam groß. Wenn wir uns nach längerer Zeit mal wiedersehen, ist dieses Gefühl sofort wieder da. Wahrscheinlich wird es nie verschwinden.