Die Polizei steht in vielen Konflikten im Fokus. Die Folge: Rund 300 Beamte sind täglich Opfer von Gewalt. Jetzt will die Politik reagieren. Nur wie?
Es ist ein warmer Frühlingsabend in Berlin. Eine Gruppe von Polizisten steht mitten in einer Menschenmenge, die Stimmung ist aufgeheizt. Plötzlich wird einer der Beamten mit aller Gewalt in die Menge gezogen. Schreie, Flaschen fliegen, der Polizist wird zu Boden gerissen.
Minuten später liegt er im Krankenhaus – schwer verletzt. Demonstranten einer pro-Palästina-Demo waren über seinen Körper getrampelt. Szenen wie diese aus der vergangenen Woche sind keine Einzelfälle mehr. Sie sind Teil einer erschreckenden Realität, die sich in Deutschland zunehmend zeigt: Gewalt gegen Polizisten nimmt zu, der Respekt vor den Beamten nimmt ab.
In den sozialen Medien kursieren immer häufiger Videos, die zeigen, wie Polizisten angeschrien, bespuckt oder gar mit Gegenständen beworfen werden. Die Hemmschwelle sinkt. "Früher gab es diesen unausgesprochenen Konsens: Die Polizei schützt die Gesellschaft, dafür gebührt ihr Respekt", sagt Alexander Poitz, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. "Heute erleben wir, dass Polizisten als Blitzableiter für Frust und Wut missbraucht werden."
Täglich über 300 Polizisten Opfer von Gewalt
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Für 2024 ist ein weiterer Anstieg der Angriffe auf Einsatzkräfte zu verzeichnen: Es gab 117.548 Übergriffe auf Rettungs- und Einsatzkräfte, davon 109.545 Fälle gegen Polizisten. Dies entspricht einem Zuwachs von 5,1 Prozent gegenüber 2023. Täglich werden damit im Schnitt über 300 Polizisten Opfer von Gewalt, was etwa alle fünf Minuten einen Angriff bedeutet.
Wie kann das sein? Immerhin sollen Polizisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ja selbst vor genau solchen Angriffen schützen. Und: Sie sind bewaffnet. Warum können sie sich immer häufiger selbst nicht schützen?
Die Gewalt gegen Polizisten ist mehr als nur ein Sicherheitsproblem. Sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft – ihrer Spannungen, Ängste und Konflikte. "Die größte Veränderung des Verhältnisses der Bürger zur Polizei erfolgte während Corona. Danach fielen zum ersten Mal verstärkt diese gruppendynamischen Antihaltungen auf, die man vorher etwa nur von beispielsweise Linksextremisten kannte", sagt Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei.
Die Polizei büßte für unpopuläre Maßnahmen, Einschränkungen, Freiheitsentzüge. Für manche war sie offenbar plötzlich Teil einer Staatselite, die ihre Bürger gängelt.
Auch die Gewalt der Polizei selbst ist ein Problem
Andere, das gehört ebenfalls dazu, fühlen sich von der Polizei wirklich ungerecht behandelt. Marginalisierte Gruppen berichten immer wieder von übermäßiger Gewaltanwendung, Schikane und Diskriminierung. Studien zeigen, dass gerade junge Männer, Migranten und sozial benachteiligte Menschen häufiger von polizeilicher Gewalt betroffen sind – oft bei Demonstrationen, Fußballspielen oder Personenkontrollen. Die Folgen sind tiefgreifend: Wut, Angst, ein Gefühl der Ohnmacht und ein wachsender Vertrauensverlust.
Was aber auch stimmt: Viele Polizisten trauen sich gar nicht mehr, sich selbst wirklich zu schützen. Ihre Waffe bleibt in der Regel ungenutzt. Der Grund? "Eine grundskeptische Einstellung gegenüber der Polizei, die sich in den letzten Jahren etabliert hat. Und dahingehend die Befürchtung der Polizisten und Polizistinnen, schnell – ungerechtfertigterweise – rechtliche Probleme zu bekommen." Kopelke, der Gewerkschafts-Vorsitzende, stellt ernüchtert fest: "Wir nehmen wahr, dass die Menschen uns nicht mehr abkaufen, dass wir robust einschreiten."
Dobrindts Doppelstrategie
Viele unterschiedliche Erfahrungen führen dazu, dass sich manche Menschen von der Polizei entfremden. Sie sehen sie nicht als Freund und Helfer, sondern teilweise auch als Bedrohung, die ihre Freiheit einschränkt und ihre Rechte verletzt. Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, zieht sich durch viele Berichte. Opfer von Gewalt fühlen sich oft alleingelassen, ihre Anliegen werden nicht ausreichend verfolgt. Dieses Misstrauen nährt eine Spirale der Eskalation – auf beiden Seiten.
Auf einen Teil des Problems reagiert die Politik jetzt. Polizisten sollen besser geschützt werden. Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt spricht von einer Doppelstrategie: mehr Kompetenzen für die Polizei, mehr Konsequenzen für die Straftäter. Strafrechtsverschärfungen sollen Angriffe auf Einsatzkräfte härter sanktionieren. Sogar konsequente Eilausweisungen sollen folgen, wenn Ausländer an solchen Taten beteiligt waren. Die Ermittlungsbefugnisse der Polizei sollen parallel ausgeweitet werden – von der Vorratsdatenspeicherung bis zu erweiterten Überwachungsmaßnahmen. Die Botschaft ist klar: Die Polizei soll besser geschützt und Täter schneller gefasst werden.
Die Macht der Bilder
Viele Polizisten fragen sich: Genügt das? Oder braucht es mehr? Mehr Personal, mehr Ausrüstung, mehr Rückhalt aus der Politik und der Gesellschaft? Denn am Ende des Tages sind es Menschen, die in Uniform auf der Straße stehen – Menschen, die für unsere Sicherheit kämpfen.
Die neue Bundesregierung steht vor einer Herausforderung: Wie schützt man diejenigen, die uns schützen? Wie stellt man sicher, dass Respekt und Vertrauen zurückkehren, bevor die Gewalt weiter eskaliert? Ein für Gewerkschaftschef Kopelke zentraler Aspekt liegt in der Verbreitung von Videos und Fotos: "Die Macht der Bilder ist nicht zu unterschätzen. Andere Länder sind uns da weit voraus: Da sind Bodycams im gesamten Land Pflicht, und da kann die Polizei auch selbst mal vorgreifen und Videos von Angriffen veröffentlichen, bevor die Verteidigungsmaßnahme wieder ohne Kontext im Netz kursiert."
In einer ohnehin bereits zunehmend polarisierten Gesellschaft, geprägt von sozialer Ungleichheit, wirtschaftlicher Unsicherheit und politischen Konflikten, wird die Polizei oft zum Symbol für staatliche Kontrolle und Repression. So wird sie selbst Teil des Problems, das sie eigentlich lösen soll. Ein konstantes Spannungsfeld: "Die einen meinen, wir haben zu viele Befugnisse, die anderen meinen, wir müssen härter durchgreifen", sagt Kopelke.
Ein Teufelskreis, den es dringend zu durchbrechen gilt.