Vincent Kompany hat das Spiel des FC Bayern zwar ästhetisch verfeinert, international jedoch scheiterte der Trainer mit seinem Fußball früh. Ab jetzt steht er in der Bringschuld.
Was wird bleiben von diesem Titelgewinn, der 34. deutschen Meisterschaft des FC Bayern? Aus Sicht der Münchener vor allem die Erkenntnis, dass sie noch immer die Kraft besitzen, die althergebrachten Machtverhältnisse wieder herzustellen. Leverkusens Triumph in der vergangenen Saison wirkt seit diesem Samstag wie ein Auffahrunfall der Ligageschichte. Die Bayern haben ihr Blech schnell ausgebeult, alle anderen müssen sich jetzt wieder hinter ihnen einreihen.
Ansonsten aber gibt es derzeit wenig zu feiern für die Münchener. Im DFB-Pokal sind sie im Achtelfinale ausgeschieden, in der Champions League im Viertelfinale. Vor allem das Scheitern in der sogenannten Königsklasse schmerzt sie, denn das Endspiel findet in München statt. Sprachlich hatten die Bayern diese Partie schon früh okkupiert, ständig war vom "Finale dahoam" die Rede. Nun aber sind sie nur Zuschauer, wenn am 31. Mai das Endspiel in ihrem Stadion in Fröttmaning angepfiffen wird.
Trainer Vincent Kompany kann all dies nichts anhaben. Er ist hochgeschätzt im Verein, weil er eine Gegenfigur zu seinem Vorgänger Thomas Tuchel darstellt. Tuchel war anstrengend, ständig hatte er neue Ideen, forderte neue Spieler – und sprach den vorhandenen öffentlich die Qualität ab. Über Joshua Kimmich etwa, Nationalspieler und langjährige Stammkraft des FC Bayern, sagte Tuchel: "Er hat immer noch nicht die defensive DNA eines Sechsers."
In der Führungsetage des Klubs kam es gar nicht gut an, dass der Trainer die besten Leute schlechtredete, und überhaupt war man der Ansicht, dass der mit Abstand teuerste Kader der Bundesliga ausreichen müsse, um ebendiese zu dominieren.
Der FC Bayern hat sich nach einem Trainer wie Kompany gesehnt
Kompany, 39, im vergangenen Sommer vom kleinen FC Burnley aus England gekommen, hat nie geklagt, obwohl er laut hätte klagen können. Verletzungen und Krankheiten schwächten seine Mannschaft enorm; die Abwehr musste er nach den Ausfällen von Manuel Neuer (Wadenverletzung), Alphonso Davies (Kreuzbandriss), Dayot Upamecano (Knorpelschaden im Knie) und Hiroki Ito (Mittelfußbruch) komplett umbauen. Zudem fehlt Jamal Musiala, sein wichtigster Offensivspieler.
Kompany nimmt das gelassen hin. In seiner ersten Saison in München hat man sowieso wenig von ihm vernommen. Über einzelne Spieler spricht er äußerst selten, und wenn, dann nur positiv. Kompany schweigt, wo Tuchel einst zeterte und krittelte.
Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, die beiden Vereinsgranden, haben sich lange nach jemandem wie Kompany gesehnt, der seiner Arbeit mit Demut nachgeht. Einem Trainer, der die Wucht und Größe des FC Bayern erkennt und sich selbst angemessen kleinmacht. Wie sehr hätten sich Hoeneß und Rummenigge gewünscht, dass Tuchel (und zuvor auch Julian Nagelsmann) mal ihren Rat sucht. Es wäre ihnen wichtig gewesen, als Geste, als Verneigung vor ihrem Lebenswerk.
Kompany hat nicht nur verstanden, wie man sich als junger Trainer beim Rekordmeister einsortiert – er hat auch begriffen, welcher Spielstil hier geschätzt wird. Tuchel hatte die Mannschaft defensiv ausgerichtet, auch daher rührte seine Obsession, sein ständiges Rufen nach einem Wellenbrecher vor der Abwehr. (Tuchel führte dafür eigens die Vokabel "Holding six" in den deutschen Fußballwortschatz ein.) Angriffsfußball bedeutete unter Tuchel lediglich Konterfußball. Das ermüdende Warten auf Fehler des Gegners.
Kompany, der Tuchel-Antipode, strukturierte das Bayernspiel neu: Er ließ seine Mannschaft bis weit in die Hälfe des Gegners vorrücken und spielte ein sogenanntes hohes Pressing mit viel eigenem Ballbesitz und ständigem Anrennen aufs Tor. Das war mitunter spektakulär und gefiel insbesondere Uli Hoeneß, der den FC Bayern schon immer als Entertainmentbetrieb verstanden hat.
Bloß blieben die Ergebnisse aus, jedenfalls im Pokal und in der Champions League. So verhinderte im Playoffspiel gegen Celtic Glasgow erst ein Davies-Tor in der letzten Minute der Nachspielzeit ein historisch frühes Scheitern der Bayern.
Kompany hat in seiner ersten Saison in München vor allem mit seinen Soft Skills überzeugt. Er hat mit seinem bescheidenen Auftreten die Klubführung hinter sich gebracht und den Fußball ästhetisch auf ein höheres Niveau gehoben. Das ist respektabel, wird aber schon in der nächsten Saison nicht mehr genügen. Die Münchener begreifen sich nämlich nicht nur als nationaler Champion, sondern auch als europäische Fußballgroßmacht.
Vincent Kompany, der Wesen und Temperament des FC Bayern viel schneller als seine beiden Vorgänger erkannt hat, wird wissen, was er künftig liefern muss.