Nahost-Talk bei "Lanz": Guido Steinberg: "Die Hisbollah hat ihr Blatt überreizt"

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Am frühen Dienstagabend hat der Iran seine Drohungen wahr gemacht und Israel angegriffen. Israel droht mit Vergeltungsmaßnahmen. Am Dienstagabend diskutieren die Gäste bei Markus Lanz im ZDF über die aktuelle Lage im Nahen Osten.

"Wir haben Detonationen gehört. Wir haben gehört, wie es draußen ganz laut geknallt hat, man hat gehört, wie die Abwehrsysteme Iron Dome und Arrow agiert und Raketen heruntergeholt haben." So schildert ZDF-Korrespondent Dominik Lessmeister in der ZDF-Talkshow "Lanz" seine Eindrücke aus einem Bunker, in den er sich mit seinem Team zurückgezogen hat.

Es ist der frühe Dienstagabend. Um etwa 18:40 Uhr Ortszeit heulen die Alarmsirenen in Tel Aviv. Das ZDF-Team produziert gerade einen Beitrag für die "Heute"-Nachrichten. Als die Sirenen heulen, lassen sie ihre Arbeit stehen und liegen und ziehen sich in einen Bunker zurück, erzählt Lessmeister. Schon am frühen Nachmittag seien die Menschen vor einem bevorstehenden iranischen Angriff gewarnt worden. Sie seien aufgefordert worden, nach Hause zu gehen, damit sie in ihre Schutzräume fliehen könnten. Man habe zunächst gedacht, der Angriff werde in den nächsten zwölf Stunden erfolgen, erzählt Lessmeister. Dann sei plötzlich alles ganz schnell gegangen.

Der Angriff habe ungefähr eine Stunde gedauert. Dann habe es Entwarnung gegeben. Das ZDF-Team habe den Bunker verlassen können. Die Menschen in Israel seien viel gewöhnt, sagt Lessmeister. "Doch ich glaube, gerade jetzt, auch mit dieser Eskalation, mit dem israelischen Angriff auf den Libanon, mit der Tötung des Hisbollah-Chefs Nasrallah, ich glaube, da ist auch eine große Angst hier, dass es eskaliert, und dass der Schlag dann auch sehr hart und stark sein wird vom Iran. Und deswegen war da auch viel Angst und Sorge in der Luft. So habe ich es gefühlt", erklärt Lessmeister die Situation am Abend in Tel Aviv.

Markus Lanz hatte in seiner Talkshow am Dienstagabend eigentlich über die Lage im Libanon reden wollen. Normalerweise wird die Sendung am späten Nachmittag aufgezeichnet. Als dann Israel von Iran angegriffen wird, sagt Lanz die Aufzeichnung der Sendung ab. Sie wird live ausgestrahlt. Denn nun herrscht Angst vor einer weiteren Ausweitung des Krieges im Nahen Osten. Die Sendung läuft noch, da kündigt Israel Vergeltungsmaßnahmen an.

Steinberg von Angriff überrascht

Israel hat offenbar den größten Teil der iranischen Raketen abgewehrt, mit Unterstützung amerikanischer Zerstörer, die im Mittelmeer stationiert waren. ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen berichtet aus den USA, dass die Eskalation des Krieges am Dienstag auch Auswirkungen auf die Wahlen in den USA haben könnte. Dort seien viele Menschen der Meinung, die Politik der Biden-Administration sei zu zurückhaltend gegenüber Israel. "Viele Menschen fordern, man müsse in einer solchen Situation an der Seite Israels stehen", sagt Theveßen, "und genau das passiert. Der Präsident und die Vizepräsidentin sind im Lagezentrum unter dem weißen Haus, werden minutiös über die Lage auf dem Laufenden gehalten, waren heute Nachmittag involviert, als dann tatsächlich die Angriffe auch erfolgten." Nun warte man darauf, wie die Vergeltung Israels ausfalle. "Im Weißen Haus hofft man auf einen kleinen Gegenschlag."

Auch CDU-Politiker Jens Spahn ist besorgt. Aber er weist darauf hin, dass sich die Regierungen der USA und Deutschlands zum Existenzrecht Israels bekannt haben.

Er sei über den iranischen Angriff auf Israel überrascht gewesen, sagt Islam-Experte Guido Steinberg bei Lanz. Er habe auch nicht mit der Leichtigkeit gerechnet, mit der Israel die Hisbollah im Libanon geschwächt habe, die vom Iran unterstützt und befehligt wird. Durch die Explosionen von Pagern der wichtigsten Hisbollah-Funktionäre wurden viele Menschen getötet, die militärische Kommunikation der Terrororganisation Hisbollah sei offenbar nachhaltig gestört worden. Nach dem Tod des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah sei die Terrororganisation führungslos. Sie sei nicht in der Lage, gegen die israelischen Luftangriffe Widerstand zu leisten, denn die Hisbollah verfüge nur über veraltete Luftabwehrraketen.

Doch nicht nur in Israel ist die Lage ernst. Seit dem Angriff der israelischen Armee auf Ziele der Hisbollah im Südlibanon steht das Land vor einer Zerreißprobe. Libanon wird von einer Regierung aus Oligarchen gelenkt und ist wirtschaftlich am Boden. Nun seien dort bis zu einer Million Menschen auf der Flucht, berichtet FAZ-Korrespondent Christoph Ehrhardt aus dem Libanon. Schutzräume wie in Israel seien im Libanon nicht vorhanden. Die Menschen aus dem Süden des Landes versuchten, Schutz bei ihren Verwandten zu finden. "Die Angst ist riesengroß", berichtet Ehrhardt.

Hisbollah steht nun militärischer Supermacht gegenüber

Doch nicht nur vor der israelischen Bodenoffensive, die am Freitag begonnen hat. Ehrhardt: "Es stimmt: Die Hisbollah ist stark geschwächt worden. Aber sie ist nach wie vor die stärkste militärische Kraft hier im Land. Und die Leute haben Angst davor, dass irgendwann dieser Konflikt im Inneren ausbricht." Die Hisbollah verliere im Libanon die Kontrolle. Ihre Anhänger würden das Vertrauen verlieren, weil die Hisbollah sie nicht schütze, zudem seien viele Menschen im Libanon kriegsmüde.

Die Hisbollah hat seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres, also seit dem Angriff der Terror-Organisation Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung, Zehntausende Raketen auf das Land abgefeuert. "Aber die Hisbollah hat ganz offensichtlich ihr Blatt überreizt", analysiert Steinberg. "Sie hat tatsächlich geglaubt, dass sie Israel fast ein ganzes Jahr beschießen und gleichzeitig eine größere Reaktion Israels vermeiden kann." Das sei auch eine ganze Zeit lang gut gegangen, vor allem auch wegen der Regierung von US-Präsident Biden. Die habe Israel im vergangenen Oktober davon abgehalten, Hisbollah-Chef Nasrallah zu töten. Aber: "Die Hisbollah hat unterschätzt, was für einen Handlungsdruck auf israelischer Seite sie da produziert. Und es war aus meiner Sicht vollkommen klar, dass Israel etwas unternehmen wird, sobald der Krieg in Gaza an Intensität verliert, um die Organisation zu schwächen." Die Hisbollah stehe nun einer militärischen und technologischen Supermacht gegenüber.

Aufgabe des Westens müsse es jetzt sein, eine Strategie zu entwickeln, wie man sich gemeinsam mit der NATO, Israel, wichtigen arabischen Staaten und den USA gegen den Iran und die von ihm gelenkte Hisbollah zur Wehr setzen könne, fordert Steinberg. "Ich glaube aber, davon sind wir weit entfernt."

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