Regierungstalk bei Illner: Es läuft noch nicht rund

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Die neue Bundesregierung ist bei der Kanzlerwahl auf Starthilfe von der Opposition angewiesen. Können sich die Koalitionäre in Zukunft aufeinander verlassen? Der Bundesinnenminister gibt sich bei Illner Mühe, Zuversicht zu verbreiten.

Seit Dienstag ist die Bundesregierung im Amt. Doch der Start war holpriger als erwartet. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Bundeskanzler erst im zweiten Durchgang gewählt. Wie stark ist Bundeskanzler Friedrich Merz jetzt? Darüber diskutiert Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt wirkt erleichtert. "Aus einer Situation, die man sich so nicht ausgesucht hat, die man so nicht wollte, die auch so bisher nicht da war, hat man dann doch gezeigt, dass man in der Lage ist, konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, um ein Problem, um eine Herausforderung zu lösen", so der CSU-Politiker. Das sei mit der Beteiligung der Grünen und der Linkspartei möglich gewesen, stellt Dobrindt fest. Und das fällt ihm nicht leicht. "Das ist für mich ein ermunterndes Zeichen, dass man Herausforderungen lösen kann. Lieber am Start eine Herausforderung, die gelöst ist, als Honeymoon zu Beginn und später der Krach." Dobrindt spricht damit die Selfies vor Beginn der letzten Koalition an, mit denen FDP und Grüne Einigkeit demonstrieren wollten.

"Das ist nicht nur ein Misstrauen Friedrich Merz gegenüber, sondern es ist ein Misstrauen der gesamten Koalition gegenüber", sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge über die holprige Kanzlerwahl. Die Aufgabe der Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und SPD sei es gewesen, genau zuzuhören und so einen Vorgang wie am Dienstag zu verhindern. "Dieser Start steht unter einem schlechten Zeichen und diese Koalition erstmal auf wackligen Beinen", so die Grünen-Politikerin. "Das ist etwas, woran sie arbeiten müssen." Die Hilfe der Opposition stehe nicht immer zur Verfügung.

Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenberg glaubt, die Koalition habe herbe Kratzer bekommen. Aber: "Wichtig ist, dass alles demokratiepolitisch einwandfrei funktioniert hat."

Keine Zusammenarbeit mit der Linken - außer man braucht sie

Der neue Kanzleramtschef Thorsten Frei hat inzwischen angeregt, dass die Union angesichts der politischen Verhältnisse über den Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber den Linken nachdenken solle. Dobrindt sieht das nicht so. Zwar habe die Regierung keine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und brauche für bestimmte Vorhaben die Grünen und die Linken. Gesetzesvorhaben gemeinsam mit der AfD schließt Dobrindt aus. Bei "prozessualen Entscheidungen" müsse man auch mit den Linken reden. An den getroffenen Beschlüssen müsse die Union aber dennoch nichts korrigieren. Heißt also: Unvereinbarkeitsbeschluss ja - außer dann, wenn man ihn nicht brauchen kann. Damit könnte ein erster Streit innerhalb der Koalition ins Haus stehen, fürchtet Melanie Amann vom Spiegel. Sie kritisiert, dass die Union die Linke mit der rechtsextremistischen AfD gleichsetze. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union gilt für beide Parteien gleichermaßen.

Die Union müsse ihren Umgang mit der AfD klären, fordert auch Dröge. "Meine Perspektive ist: Es gibt in der Union zwei Strömungen. Zu der einen gehört Jens Spahn, und Jens Spahn ist mehr in der Richtung der AfD unterwegs als viele andere in der Union, die da ganz klar sind und auf die ich mich auch verlasse." Dobrindt weist die Vorwürfe gegen Spahn zurück. Was die Einschätzung der AfD durch den Bundesverfassungsschutz angeht, ist Dobrindt noch unschlüssig, wie es weitergeht. "Ich werde dieses Gutachten nicht in einen Aktenschrank stellen. Das Gutachten wird natürlich betrachtet", verspricht der Minister. Er wolle sich in das Gutachten einführen lassen und dann über dessen Veröffentlichung entscheiden, so Dobrindt.

Überstunden für die Migrationspolitik

In der Migrationspolitik hat der neue Bundesinnenminister Dobrindt inzwischen die ersten weitreichenden Entscheidungen getroffen. Er will die Grenzkontrollen verstärken, was zu einer deutlichen Mehrarbeit der Bundespolizisten vor Ort führen wird. In den nächsten drei Wochen werden die betroffenen Beamten bis zu 20 Wochenstunden mehr arbeiten müssen. Gleichzeitig, so die Kritiker, werden Bahnhöfe weniger stark bewacht werden. Eine weitere umstrittene Maßnahme stellt Dobrindt im Laufe der Sendung klar: Wer an der Grenze Asyl beantragt, kann in Zukunft von der Polizei zurückgewiesen werden. Kann, nicht muss. Schwangere Frauen, Kinder und "vulnerable Gruppen" seien von der Zurückweisung ausgenommen, sagt Dobrindt. Einen nationalen Notstand will der Minister nicht ausrufen. Man spreche mit Vertretern der Nachbarländer. Dort werden die Entscheidungen kritisiert, was der Kanzler bei seinem Besuch in Polen am Mittwoch auch deutlich zu hören bekommen hat.

"Die Asylproblematik ist eine Problematik, die ganz Europa mit belastet, sagt Dobrindt. Deutschland sei besonders betroffen, "weil wir nun mal die größte Magnetwirkung haben. Das muss korrigiert werden." Die Überforderungen der Kommunen und der öffentlichen Systeme müsse beendet werden.

Katharina Dröge sieht das natürlich anders: "Olaf Scholz hat keine gute Europapolitik gemacht, das haben wir immer kritisiert. Und das könnte Friedrich Merz jetzt besser machen. Aber er zündet Europa grade an."

Chaos, so nennt Spiegel-Journalistin Melanie Amann die Vorgänge in den letzten zwei Tagen. Sie hat beobachtet, dass sich Aussagen von Bundeskanzler Merz im Ausland und Dobrindt in Deutschland oft widersprochen hätten, dass manchmal der eine dort nicht gewusst habe, was der andere hier vorhatte. Zuletzt habe offenbar auch noch der Regierungssprecher für Verwirrung gesorgt. "Ordnung und Steuerung sieht anders aus."

Dröge geht noch weiter. Sie wirft Dobrindt vor, mit der Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze europäisches Recht zu brechen. "Es ist relativ klar, was wir tun", so Dobrindt. "Es geht darum, dass wir Menschen, die Asyl verlangen, zurückweisen können, weil sie aus einem sicheren Drittland nach Deutschland einreisen. Sie sind mindestens schon ein Land zu weit gegangen. Sie werden nicht verfolgt in unseren Nachbarländern. Und darum muss man darauf kommen, dass wir die europäische Situation, das System wieder funktionsfähig machen. Das ist in unserem gemeinsamen Interesse."

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