Ein ungarischer Fotojournalist wurde per Staatstrojaner überwacht und wollte vor Gericht erfahren, warum. Seine Klage wurde ohne nähere Begründung abgewiesen – zu Unrecht, wie das ungarische Verfassungsgericht nun urteilte.

Ein Betroffener staatlicher Überwachung in Ungarn hat einen Teilerfolg vor Gericht erzielt. Vor vier Jahren wurde bekannt, dass Ungarn Investigativjournalist:innen, Anwält:innen und Aktivist:innen mit dem Staatstrojaner Pegasus ausgespäht hatte. Einer von ihnen, der Fotojournalist Dániel Németh, bekam nun Rückenwind vom ungarischen Verfassungsgericht. Demnach wurde sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weil ihm Auskünfte zur Überwachungsmaßnahme ohne nähere Begründung verweigert wurden.
Németh dokumentiert seit Jahren den luxuriösen Lebensstil der ungarischen Führungselite und begleitet sie mit seiner Kamera auf ihren Reisen. Auf diese Weise geriet er offenbar ins Visier des Staats. Sicherheitsforscher:innen des kanadischen Citizen Lab bestätigten, dass zwei seiner Telefone mit Pegasus überwacht wurden. Also verlangte Németh vom Verfassungsschutz Auskunft darüber, welche Daten über ihn gespeichert wurden und warum er überhaupt als Gefahr für die nationale Sicherheit behandelt wurde.
Der ungarische Geheimdienst hatte seine Anfrage unter Verweis auf ein Gesetz zur nationalen Sicherheit abgelehnt; Németh zog vor Gericht. Doch das Budapester Landgericht hat seine Klage abgewiesen – aus formalen Gründen. Es sah sich nicht befugt, darüber zu urteilen, ob die Ablehnung begründet sei.
Das Verfassungsgericht urteilte jetzt, dass dieses Vorgehen verfassungswidrig war und hob das Urteil auf. Das Landgericht hätte in der Sache prüfen müssen, ob eine Ablehnung von Némeths Auskunftsanspruch unter Berufung auf die nationale Sicherheit tatsächlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sei. Ein Grundrecht – wie das Recht einer Person zu erfahren, welche Daten der Staat über sie gesammelt hat – dürfe nur eingeschränkt werden, wenn dies wirklich notwendig sei. Diese Überprüfung sei hier ausgeblieben. Das Urteil ist noch nicht öffentlich, zusammengefasst ist es in einer Pressemitteilung der Hungarian Civil Liberties Union (HCLU), die den betroffenen Journalisten bei seiner Klage unterstützt.
NGO sieht keinen Grund zum Feiern
Die HCLU warnt jedoch davor, dieses Urteil als Durchbruch zu feiern. „Die Entscheidung zeigt definitiv nicht, dass der Rechtsstaat in Ungarn gut funktioniert“, sagt der zuständige Jurist Ádám Remport. Das Verfassungsgericht habe lediglich an seiner früheren Position in dieser Frage festgehalten. Schon 2014 hatte es geurteilt, dass Gerichte inhaltlich prüfen müssten, ob eine Ablehnung unter Berufung auf die nationale Sicherheit im Einzelfall begründet sei.
Das Urteil bedeute auch nicht, dass der Geheimdienst die Daten über Németh nun offenlegen müsse. Eher geht es dem Juristen zufolge um ein absolutes rechtsstaatliches Minimum: Gerichte dürfen sich nicht über ein Urteil in solchen Fällen drücken – denn das würde die Berufung der Nachrichtendienste auf die nationale Sicherheit von jeder Kontrolle ausnehmen.
Die Menschenrechtsorganisation vertritt insgesamt sieben Betroffene, deren Geräte in Ungarn mit Pegasus überwacht oder ins Visier genommen wurden und koordiniert ihre Fälle. Darunter sind der Investigativjournalist Szabolcs Panyi, der den Überwachungsskandal in Ungarn selbst mit aufgedeckt hat und die Anwältin Ilona Patócs.
Ungarns Geheimdienste können nahezu unbegrenzt überwachen
Mit der strategischen Prozessführung in diesen Fällen will die HCLU nicht nur die Rechte der Einzelnen durchsetzen. Sollten alle Beschwerden und Klagemöglichkeiten, die das ungarische Recht für die Betroffenen vorsieht, ausgeschöpft sein, würden die Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) in Straßburg landen. Der könnte dann erneut feststellen, dass die ungarische Rechtslage keine ausreichenden Kontrollmechanismen für die betroffenen Personen vorsieht.
Die HCLU warnt seit Langem davor, dass die Geheimdienste in Ungarn über nahezu unbegrenzte Überwachungsbefugnisse verfügen. Statt einer unabhängigen Stelle genehmigt der Justizminister oder die Justizministerin die Überwachung und entscheidet über ihre Rechtmäßigkeit. Eine externe Kontrolle der Entscheidungen ist nicht vorgesehen und betroffene Personen haben keine Möglichkeit zu erfahren, ob ihre Daten unrechtmäßig erhoben wurden, und somit auch keinen Zugang zu Rechtsmitteln.
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