Erst Paris, dann Warschau: An Tag eins seiner Kanzlerschaft führt es Friedrich Merz gleich ins Ausland. Auf ihn warten wilde Zeiten – entsprechend vorsichtig gibt er sich.
Zur Vorbereitung auf Besuche bei Emmanuel Macron dürfte für internationale Regierungschefs mittlerweile gehören, sich auf eine kräftige bis schmerzhafte Begrüßung einzustellen. Von seinen Treffen mit Donald Trump gibt es ganze Videosequenzen, auf denen Macron die Hand seines Gegenübers regelrecht zu zerquetschen scheint. Friedrich Merz müsste also gewarnt sein, eigentlich.
Mittwochmittag, viertel nach zwölf: Die Limousine des neuen Kanzlers fährt im Hof des Élysée-Palastes vor und Merz schafft es gerade noch, sein Jackett überzuziehen, bevor Macron sein komplettes Begrüßungsprogramm startet. Er drückt ihn, klopft ihm auf Schulter und Rücken, knetet gleich mehrfach seine Hand, als habe er nichts sehnlicher erwartet, als den Deutschen als Kanzler in Paris zu Gast zu haben. 10 von 10 auf der Händedruck-Stärkeskala, so wirkt es. Immerhin: Von Verletzungen bleibt Friedrich Merz an diesem Mittag verschont.
Jeder Satz von Friedrich Merz ist auf einmal börsenrelevant
Es ist Tag eins seiner Kanzlerschaft und Merz ist gleich voll drin. Die erste Auslandsreise steht auf dem Plan, erst Paris, dann Warschau, als Zeichen dafür, wie ernst er die Nachbarn nimmt, Europa, das Weimarer Dreieck, jenes diplomatische Format, von dem man sich zuletzt fragte, ob es bloß noch in Geschichtsbüchern existiert. Einen "Neustart" der deutschen Rolle verspricht Merz, wobei man gleich am Premierentag ahnt, dass dieser Neustart weniger disruptiv ausfallen dürfte, als das im Wahlkampf noch angelegt war.
Der Kanzler merkt jetzt: Jeder Satz ist auf einmal börsenrelevant. Und die Weltpolitik wirkt wie ein perfekter Sturm. Trumps Zollpolitik, Putins Ukrainekrieg, die ungeregelte Migration, Israels hartes Vorgehen im Gazastreifen. Da scholzt es sich schnell: Hauptsache, keine Fehler machen.
Merz muss sich hineinfinden in seine neue Rolle, wobei es nicht so wirkt, als falle ihm das sonderlich schwer. Auf dem Hinflug spaziert er mit der Hand in die Tasche in die hinteren Reihen, um das Programm der Reise kurz zu umreißen. Er lässt sich dabei filmen, damit auch die Sender ein paar Bilder und Sätze von ihm verarbeiten können. Macron kennt er ohnehin recht gut, in der Übergangsphase zwischen Scholz und ihm stimmte er sich mit dem französischen Präsidenten mehrfach ab.
Der gestrige Tag dürfte ihm noch in den Knochen stecken. Seine Ankunft im Kanzleramt ähnelte eher einer Bruchlandung, nachdem er im ersten Wahlgang durchgefallen war. Die Presselage war am Mittwochmorgen ernüchternd, selbst in seinem Team spricht mancher von einem "Achsenbruch" der Koalition, obwohl sie noch gar nicht richtig angefangen habe. Aber Merz will gar keinen Kriseneindruck aufkommen lassen, er stürzt sich in die Außenpolitik und Macron bereitet ihm einen großen Bahnhof. Ein Gespräch, ein Spaziergang, ein Mittagessen. Und klar: An die Mikros geht es auch.
"Es kann Meinungsverschiedenheiten geben"
"Lieber Friedrich", flötet Macron dem deutschen Gast entgegen. "Wir feiern unseren neuen Schwung." Gemeinsam wolle man den "deutsch-französischen Motor" in Gang bringen und dafür sorgen, dass Europa stärker werde, nach innen wie nach außen. Auch Merz schwärmt von der gemeinsamen Partnerschaft. Europa stehe vor enormen Herausforderungen, es müsse sicherer werden, wettbewerbsfähiger, geeinter. "Es kann natürlich Meinungsverschiedenheiten geben, das ist klar, wir stehen ja im Wettbewerb", ergänzt Macron. "Aber wir werden uns koordinieren."
In der Tat dürfte es trotz aller zur Schau gestellten Harmonie noch knirschen im deutsch-französischen Verhältnis. Wirtschaftlich sind die Interessen beider Länder weit davon entfernt, deckungsgleich zu sein. Über die französische Waffenindustrie hält Macron schützend seine Hand. Auch dem Handelsabkommen, das Merz zwischen Europa und den südamerikanischen Mercosur-Staaten gern rasch abgeschlossen sähe, steht der Präsident skeptisch gegenüber.
Wie es in der Ukraine weitergeht, dürfte für beide ebenfalls noch zur Belastungsprobe werden. Macron hat sich mehrfach offen für europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine gezeigt, sogar dafür, ein Friedensabkommen mit europäischen Truppen abzusichern. Ob er erwäge, auch deutsche Soldaten dafür zu entsenden, wird Merz gefragt. Die Ukraine könne sich auf Deutschland verlassen, antwortet der Kanzler, wirkt dann aber, als müsse er jedes Wort einzeln abwägen. Bevor es kein Abkommen zwischen Russland und der Ukraine gebe, könne man über das Ausmaß der Sicherheitsgarantien keine Auskunft geben, formuliert er.
Sein Amtsvorgänger hätte keine schönere Ausweichformel finden können. Aber außenpolitisch ist die Vorsicht sicher nicht verkehrt.
Am Donnerstag telefoniert Merz mit Trump
Ob er sich wünsche, dass auch Deutschland Marschflugkörper liefere, wie Frankreich das schon mache, wird Macron gefragt. "Wir werden nicht über einzelne Waffensysteme sprechen", sagt Macron und scherzt: "Es kann durchaus sein, dass auch die russische Armee die Antwort auf ihre Frage hört." Da nickt Merz. Und wirkt, als sei er, der im vergangenen Jahr Olaf Scholz noch mit Anträgen dazu bringen wollte, den Taurus endlich zu liefern, ganz froh, sich in dieser Frage nicht festlegen zu müssen.
Am Nachmittag geht es wieder zum Flughafen, der Kanzler hat Zeitdruck, seine Kolonne überfährt unter polizeilicher Aufsicht reihenweise rote Ampeln. Merz muss noch nach Warschau zum Gespräch mit Donald Tusk. Ohne Polen kein Weimarer Dreieck.
Am Donnerstag wird der Kanzler übrigens mit Donald Trump telefonieren. Es dürfte ein eher freundliches Gespräch werden. "Wir wollen, dass die Amerikaner an Bord bleiben", sagt Merz in Paris. Er weiß: Ohne die USA an der Seite der Nato dürfte es außenpolitisch noch stürmischer werden.