Wechsel im FDP-Vorsitz: Was hat dieser Mann mit Christian Lindner gemacht?

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Christian Lindner verabschiedet sich auf dem Berliner FDP-Parteitag nach mehr als elf Jahren vom Vorsitz der Liberalen. Seiner Rede merkt man an: Es wird höchste Zeit.

Um 12.24 Uhr beginnt der Anfang vom Ende. Gleich spricht Christian Lindner zum letzten Mal als Vorsitzender der FDP. Noch einmal begibt er sich in seinem typischen Gang mit den kurzen Schritten zum Rednerpult. Hier war immer sein wichtigster Kampfplatz. Man kann ja gegen Christian Lindner einiges vorbringen, und viele werden sagen: gut, dass er endlich weg ist. Aber reden, das konnte er.

Wer in den vergangenen Tagen die ersten Debatten des 21. Bundestags verfolgt hat, trauert dem 20. schon hinterher, auch wegen Christian Lindner. Noch kurz vor dem Abschluss seiner politischen Karriere bewies er jüngst sein rhetorisches Talent, als er den Billionen-Schuldenmacher Friedrich Merz im Parlament fragte: "Wer sind Sie, und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?"

Christian Lindner führte die FDP zurück ins Parlament – und wieder in den Abgrund

Nun also seine letzte Parteitagsrede an der Spitze. Oder doch nicht? 2011 war er schon einmal zurückgetreten, damals als Generalsekretär, 2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Lindner kehrte zurück, wurde Parteichef, wiederbelebte die FDP, führte sie in den Bundestag und vier Jahre später sogar in die Regierung.

Binnen drei Jahren aber ging alles wieder verloren. Absturz in den Abgrund. Lindner hinterlässt die FDP heute außerhalb des Parlaments, genau da, wo er sie vor 11 Jahren und fünf Monaten aufgesammelt hat. Er ist gerade mal 46 Jahre alt, er war der jüngste Vorsitzende, den die FDP je hatte. Und auch der jüngste, der es nicht mehr sein wollte. Aber er geht nicht auf dem Höhe-, sondern am Tiefpunkt. Kann das wirklich alles sein?

"Rechenschaftsbericht des Bundesvorsitzenden" heißt seine letzte Rede. Und ein bisschen klingt sie auch so. Lindner dankt den Mitarbeitern, die ihn ertragen mussten. Er dankt wichtigen Weggefährten wie Marco Buschmann und Wolfgang Kubicki. "Ich schaue auf eine großartige Reise mit Euch zurück", sagt Lindner an einer Stelle zu all seinen Parteifreunden. Im Saal sieht man aber auch jene, die dieser Vorsitzende politisch verschlissen hat, Philipp Rösler und Linda Teuteberg zum Beispiel, oder Birgit Homburger. Die sagen Ihnen nichts mehr? Eben.

Existenz gefährdet. Nur noch Splitterpartei. Schlapp, schlapper, FDP. Das seien die Überschriften 2013 gewesen, als die FDP schon einmal aus dem Bundestag flog, erinnert sich Lindner. Und dann ging es doch weiter. Seit seiner Wahl zum Parteichef habe die FDP 10.000 neue Mitglieder gewonnen, sei in 20 Landtage eingezogen und habe sogar Regierungsverantwortung getragen. Äh, Moment mal, war da nicht noch was?

Natürlich habe man auch Fehler gemacht. "Sonst wären wir ja nicht hier", so Lindner. Zwei Kritikpunkte habe es immer gegeben: Die einen monierten, die FDP sei zu viele Kompromisse mit linken Parteien eingegangen. Die anderen fanden, "wir hätten mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen, um nicht als Blockierer dazustehen". Und was denkt er darüber? Das sagt Lindner nicht. Die neue Parteiführung soll das aufarbeiten. Klingt so, als wolle er da nicht mehr als Zeuge zur Verfügung stehen.

Udo Di Fabio, ehemaliger Verfassungsrichter und parteiloser Liberaler, hat vorher schon eine Art Urteil über Lindner gesprochen, das dem gut gefallen haben dürfte: Lindner werde nicht als Gescheiterter verabschiedet, sondern als einer, der die politische Verantwortung für eine Wahlniederlage übernommen hat. "Honorig" sei das, findet Di Fabio. So kann man das natürlich auch sehen.

Christian Lindner war elf Jahre FDP-Chef – Verachtung ist da eingepreist

Lindner hat immer polarisiert. Und er hatte Spaß daran. Einem FDP-Vorsitzenden geht es nie um die Mehrheit im Land, sondern um die Zustimmung seiner Klientel. Verachtung, ja bisweilen Hass ist bei diesem Job eingepreist. Und Lindner befeuerte das gerne mit Provokationen wie dem Wort von der "Gratismentalität" mancher Deutscher. Am Ende teilte er weniger aus, als er einstecken musste. Von Olaf Scholz musste er sich anhören, ihm fehle "die sittliche Reife" für das Regieren.

Tritt Lindner noch mal nach? Nicht gegen Scholz, nur gegen Merz. "Mir fallen flotte Wenden bei politischen Grundüberzeugungen schwer, bei der CDU ist dafür mehr Talent vorhanden", sagt er. Die Wähler hätten weniger Staat und mehr Freiheit gewählt, "und sie bekommen mehr Staat und mehr Schulden". Spätestens hier fragt man sich: Was hat der Mann da vorn mit Christian Lindner gemacht?

Lindner zelebriert diesen letzten Auftritt nicht, er absolviert ihn. Eine kurze persönliche Passage noch, in der er seine Frau Franca Lehfeldt würdigt. "Wenn ich euphorisch war, hast Du mich gebremst. Wenn ich deprimiert war, was öfter vorkam, hast Du mich aufgebaut", sagt er an die Adresse seiner Frau, die, so Lindner, mit der kleinen Tochter auf dem Arm zu Hause am Fernseher sitze. "Liebe Franca, Du musstest das Leben eines Politikers mitführen, obwohl Du mich geheiratet hast und nicht die FDP. Dafür bin ich Dir dankbar."

Einmal flackert noch der alte Lindner auf. Da verteidigt er mit einer gewissen Leidenschaft die liberale Idee. "Wir sollten einander nicht erklären, was der wahre Liberalismus ist", ruft Lindner. Die Vielfalt stärke die Partei, und die Freiheit sei das verbindende Element. "Die FDP braucht keine Glaubenskongregation."

Der Abschied falle ihm nicht leicht. "Mein liberales Herz will schon wieder losstürmen", so Lindner. "Aber mein Verstand sagt, dass alles seine Zeit hat." Ganz klar: Der Verstand hat sich in dieser Rede eindeutig durchgesetzt. Christian Lindner war eben mit elf Jahren und fünf Monaten auch der am längsten amtierende Vorsitzende der FDP, länger als Hans-Dietrich Genscher. Sein Nachfolger wird Christian Dürr.

Nur 30 Minuten nimmt Lindner sich Zeit, dabei waren für seine Rede 40 Minuten eingeplant. Der Schluss wird noch einmal wichtig. Was sagt er zum Abschied? 2011, bei seinem Rücktritt als Generalsekretär der FDP, stand am Ende seines Auftrittes eine Art Versprechen: "Auf Wiedersehen." Und das hat er in bemerkenswerter Weise wahr gemacht. 

Diesmal sagt er zum Schluss nur: "Vielen Dank."