
Die USA und Großbritannien erwägen, Kiew den Einsatz von Waffen auf russischem Boden zu erlauben. Scholz beharrt auf seinem Nein in der Taurus-Frage - notfalls im Alleingang. Doch dann würde er mit seinem Kurs - im Einklang mit den Verbündeten zu handeln - brechen.
Bundeskanzler Olaf Scholz soll nach Aussagen des früheren britischen Premiers Boris Johnson sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine überdenken. "Wir brauchen definitiv auch eine Taurus-Lieferung, definitiv", sagte Johnson der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) bei einer Sicherheitskonferenz in Kiew.
Der Brite äußerte zugleich großes Verständnis für das Zögern der Bundesregierung in der Taurus-Frage. "Sie müssen auch auf die deutsche Geschichte schauen", sagte Johnson. Vor diesem Hintergrund leiste Deutschland bereits eine enorme Unterstützung für die Ukraine. "Was Olaf hier gemacht hat, ist bemerkenswert", lobte der frühere britische Premier den SPD-Politiker. Dennoch gehe es jetzt um eine klare Haltung in einer ganz entscheidenden Phase, betonte Johnson.
Bei der Taurus-Debatte geht es auch um mögliche Ziele, die die Ukraine mit dieser Waffe ins Visier nehmen könnte - womöglich auf russischem Territorium. Auch Großbritannien konnte sich ebenso wie die USA bislang nicht zu einem Ja durchringen, dass Kiew westliche Waffen auch gegen russische Ziele verwenden darf. Genau das forderten zahlreiche Teilnehmer bei der Konferenz in Kiew von London und Washington, um vor allem den Einsatz von Gleitbomben gegen zivile Ziele in der Ukraine zu unterbinden – etwa durch den Beschuss von Stellungen und Flugplätzen, von denen aus Moskau seine Angriffe koordiniert. Bei einem Treffen von US-Präsident Joe Biden und Großbritanniens Premier Keir Starmer wurde dazu noch keine Einigung verkündet, bisher gibt es strikte Kilometerbegrenzungen auf den Beschuss russischer Stellungen nur in Grenznähe.
Tories fordern Starmer zum Handeln auf
Laut einem Zeitungsbericht schließen sich fünf ehemalige britische Verteidigungsminister der Konservativen Johnsons Haltung an und fordern Regierungschef Starmer auf, der Ukraine den Einsatz von Langstreckenraketen auf russischem Gebiet zu gestatten. Das solle aus Sicht der Tories auch ohne die Unterstützung der USA gelten, berichtet die "Sunday Times". Sie warnten den amtierenden Premierminister, dass "jede weitere Verzögerung Präsident Putin ermutigen würde", heißt es in dem Bericht.
Laut der SZ könnte eine erwartete Änderung der Position der westlichen Partner in der Taurus-Frage auch den Druck auf Deutschland erhöhen. Denn bislang betonte Scholz immer wieder, im Einklang mit den USA handeln zu wollen. Die Taurus-Marschflugkörper sind in der Frage sehr wichtig, weil sie über eine größere Reichweite als bereits gelieferte Marschflugkörper der anderen westlichen Verbündeten verfügen.
Ischinger: Waffeneinsatz mit Völkerrecht vereinbar
In Bezug auf das Völkerrecht sieht der langjährige Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, kein Problem in einer Lieferung der Taurus-Marschflugkörper und einem darauffolgenden Einsatz auf russischem Territorium. "Es wäre für alle klarer und leichter, wenn wir schlicht und ergreifend sagen würden: Wir verpflichten die Ukraine darauf, dass sie die von uns erhaltenen Waffensysteme ausschließlich in dem Rahmen einsetzt, der mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar ist", mahnt der Sicherheitsexperte an.
Das bedeute, so Ischinger, dass man damit keine Krankenhäuser beschießen dürfe, "was die Russen die ganze Zeit machen". Sondern dass damit nur militärische Ziele wie Flughäfen oder Abschussbasen angegriffen werden dürften, etwa um die Gleitbombenangriffe zu unterbinden. "Weil sonst kriegen wir die nächste Debatte, wenn wir jetzt sagen, 100 Kilometer und die Russen dann weiter zurückziehen und von dort weitreichendere Systeme benutzen", betonte Ischinger.
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hat kein Verständnis für Scholz' Blockade-Haltung in der Taurus-Frage. "Die ganzen roten Linien lassen sich inzwischen zu einem roten Teppich für Putin verweben", sagte Kiesewetter. Er gehe zudem davon aus, dass es seitens der USA bald eine Freigabe zum Einsatz weitreichender Waffen gegen militärische Ziele in Russland geben würde.