
Politische Weichenstellungen in Thüringen: In der Mitte Deutschlands geht es Anfang September um die Frage, wer das Bundesland mit seinen gut 2,1 Millionen Einwohnern in den kommenden fünf Jahren regieren soll. Wird die AfD mit Spitzenkandidat Björn Höcke stärkste Kraft?
Tag der Entscheidung im Freistaat Thüringen: Am 1. September sind dort rund 1,66 Millionen Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, die Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Erfurter Landtag neu zu bestimmen. Die Wahlen könnten die politische Landschaft in Thüringen grundlegend verändern.
In den Umfragen der vergangenen Monate liegt die AfD in Thüringen bisher deutlich vorn. AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke könnte mit seinem als "gesichert rechtsextrem" eingestuften Landesverband durchaus neue stärkste Kraft in Thüringen werden. Die Thüringer CDU sehen die Meinungsforscher bisher übereinstimmend auf Platz zwei´- noch vor dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).
Hinweis: Die Infografiken zeigen bis zum Wahltag Ergebnisse der jeweils aktuellsten Umfrage und werden laufend aktualisiert.
Die bisher regierenden Parteien blicken teils herben Verlusten entgegen. Die Thüringer Linke, die mit Bodo Ramelow bisher den amtierenden Ministerpräsidenten der rot-rot-grünen Regierungskoalition stellt, erreicht den Umfragen zufolge nach der BSW-Abspaltung nur noch 11 bis 16 Prozent der Stimmen. Im Vergleich zur zurückliegenden Landtagswahl 2019 entspräche dies einem fast halbierten Wahlergebnis.
Bitte könnte es am Wahlabend auch für die Thüringer SPD werden. Die Sozialdemokraten sind seit 2014 als Juniorpartner neben Linken und Grünen an der Regierungsverantwortung in Thüringen beteiligt. In den Umfragen lag die SPD zuletzt zwischen sechs und neun Prozent. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren hatte sie 8,2 Prozent der Zweitstimmen erzielt. SPD-Spitzenkandidat Georg Maier will eigenen Worten zufolge dazu beitragen, dass "Thüringen eine demokratische Mehrheitsregierung bekommt".
Die in Thüringen ebenfalls mitregierenden Grünen müssen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Bei der Wahl 2019 hatten es die Grünen mit 5,2 Prozent der Stimmen nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. In den Umfragen bewegen sich die Grünen zwischen drei und fünf Prozent. Im Thüringer Wahlkampf treten die Grünen mit dem Spitzen-Duo Madeleine Henfling und Bernhard Stengele an.
Die FDP muss in Thüringen auf ein Wunder hoffen. Bei der Wahl am 1. September trauen die Meinungsforscher der FDP unter ihrem Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich nur noch zwischen zwei und vier Prozent zu. Damit dürften die Liberalen diesmal an der entscheidenden Schwelle scheitern. Vor fünf Jahren war der Thüringer FDP der Einzug ins Landesparlament nur denkbar knapp gelungen. Das Stimmergebnis lag damals bei 5,01 Prozent.
Damit zeichnet sich in Thüringen eine überaus komplizierte Regierungsbildung ab. Offen ist unter anderem noch, ob im künftigen Landtag fünf, sechs oder gar sieben Parteien vertreten sein werden. Großen Einfluss könnte das Lager der bisherigen Nichtwähler ausüben - falls sie sich am Wahltag zur Stimmabgabe entscheiden.
Die Wahlbeteiligung lag 2019 bei 64,9 Prozent. Das heißt im Gegenzug: Mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten (35,1 Prozent) verzichtete damals darauf, sich an der Neuverteilung der politischen Macht im Thüringer Landtag zu beteiligen.
Selbst im Fall eines Wahlsiegs der AfD dürfte es in Thüringen nicht zu einer rechten Landesregierung mit Höcke als Ministerpräsident kommen. Die übrigen Parteien haben bereits im Vorfeld Bündnisse mit der AfD ausdrücklich ausgeschlossen. Damit stehen die Rechtspopulisten bisher ohne Koalitionspartner und weiterhin ohne ausreichende Mehrheit da.
Ob der in der Bevölkerung beliebte Ramelow als Regierungschef im Amt bleiben kann, ist noch unklar. Wie bereits vor fünf Jahren könnte es theoretisch zu einer Minderheitsregierung kommen - allerdings liegt die Linke in der Wählergunst in Thüringen mittlerweile nicht mehr auf Platz eins, sondern hinter der CDU und wohl auch hinter dem BSW.
Sollten die Christdemokraten tatsächlich mehr Stimmen einfahren, dürfte es für Ramelow schwer werden. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt erhebt bereits offen Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten. Der 47-jährige Fraktions- und Landeschef der CDU verfügt über reichlich Erfahrung, wäre aber voraussichtlich ebenfalls auf Koalitionspartner angewiesen.
Voigt hat Politik und öffentliches Recht studiert und sitzt seit 2009 im Thüringer Landtag. Er ist nicht nur jünger als Ramelow und Höcke, sondern stammt anders als diese auch gebürtig aus Thüringen. Für eine etwaige Zusammenarbeit mit dem BSW - der womöglich neuen drittstärksten Kraft im Landtag - soll CDU-Chef Friedrich Merz bereits grünes Licht signalisiert haben.
Einzelne Wählergruppen könnten bei der Wahlentscheidung den entscheidenden Ausschlag geben: Mit einem Anteil von 51,3 Prozent sind in Thüringen mehr als die Hälfte der rund 1,66 Millionen Wahlberechtigten weiblich. Zudem sind den Daten des Landeswahlleiters zufolge etwas mehr als ein Viertel aller potenziellen Wähler 70 Jahre oder älter.
Der Anteil der Jung- und Neuwähler erscheint im Vergleich zu den Wählern im Rentenalter sehr viel geringer. Bei der Landtagswahl am 1. September können rund 79.000 Thüringerinnen und Thüringer altersbedingt erstmals von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Zusammen mit der Altersgruppe der 23 - bis 29-Jährigen umfasst das Lager der Unter-30-Jährigen in Thüringen insgesamt nur knapp 10,5 Prozent.
Hinweis: Diese Karte zeigt Ergebnisse der zurückliegenden Kommunalwahlen 2024 in Thüringen.
Wahlberechtigt sind in Thüringen alle Personen, die "am Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind, mit Hauptwohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Thüringen gemeldet sind und nicht durch Richterspruch vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden", heißt es beim Landeswahlleiter. "Die endgültige Zahl der Wahlberechtigten wird durch Auszählung der Wählerverzeichnisse am Wahlsonntag ermittelt."
Der anstehende Urnengang ist die achte Landtagswahl seit Bestehen des Freistaats. Regulär wird in Thüringen alle fünf Jahre neu gewählt. Der Landtag in der Landeshauptstadt Erfurt umfasst mindestens 88 Sitze. Davon wird die Hälfte als Direktmandate aus den 44 Thüringer Wahlkreisen vergeben, die andere Hälfte verteilt sich nach den Mehrheitsverhältnissen auf die Landeslisten der Parteien.
Überhang- und Ausgleichsmandate können die Gesamtzahl der Abgeordneten erhöhen. Wie bei der Bundestagswahl können die Wahlberechtigten in Thüringen bei der Stimmabgabe zwei Stimmen vergeben: Eine für die Kandidatin oder den Kandidaten im Wahlkreis und eine zweite für die Landesliste einer Partei.
"Mit der Wahlkreisstimme auf der linken Seite des Stimmzettels", heißt es beim Landeswahlleiter zur Erklärung, "können Sie ein Parlamentsmitglied bestimmen, welches direkt in den Landtag einziehen soll." Gewinner im Wahlkreis ist, wer vor Ort die meisten Stimmen auf sich vereinen kann (relative Mehrheitswahl).
Für die Verteilung der übrigen 44 per Landesliste zu besetzenden Mandate sind die Angaben auf der rechten Seite des Stimmzettels entscheidend: "Mit dieser Stimme entscheiden sich Wählende für eine bestimmte Partei (Landesliste)", erläutert der Landeswahlleiter. Berücksichtigt werden bei der Verteilung hier allerdings nur jene Parteien, die mindestens fünf Prozent der insgesamt abgegebenen gültigen Landesstimmen erhalten haben. Das heißt: Starke lokale Bewerber können es auch ohne Platz auf der Landesliste einer Partei in den Landtag schaffen.
Die Stimmabgabe ist in Thüringen natürlich auch per Briefwahl möglich. Ein entsprechender Antrag muss bei der zuständigen Gemeinde am Wohnort "spätestens bis zum Freitag vor dem Wahlsonntag um 18:00 Uhr gestellt werden", wie der Landeswahlleiter betont. "Im Fall einer plötzlichen Erkrankung kann dies noch bis zum Wahltag um 15:00 Uhr geschehen."
Der ausgefüllte Wahlschein muss im verschlossenen Rücksendeumschlag spätestens am Wahltag bis 18.00 Uhr an der aufgedruckten Adresse ankommen. "Die Verantwortung dafür, dass der Wahlbrief rechtzeitig vorliegt, tragen die Wählenden persönlich", lautet die Regelung.
Am Wahltag selbst öffnen die Wahllokale laut Plan ab 8.00 Uhr morgens. Die Stimmabgabe ist wie üblich bis 18.00 Uhr möglich. Unmittelbar darauf beginnt die Auszählung der Stimmen. Mit ersten Prognosen zum Wahlausgang ist bereits kurz nach Schließung der Wahllokale zu rechnen. Gestützt auf Nachwahlbefragungen versuchen Meinungsforscher das voraussichtliche Wahlergebnis abzuschätzen.
Die ersten belastbareren Hochrechnungen dürften im Laufe des Wahlabends eintreffen. Ein vorläufiges amtliches Wahlergebnis wird der Wahlleiter nach Auszählung der Stimmen voraussichtlich noch in der Nacht auf Montag bekannt geben.