Mutmaßliche Terrorzelle: Wer ist die "Letzte Verteidigungswelle"?

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Der Generalbundesanwalt hat die mutmaßliche Neonazi-Terrorzelle "Letzte Verteidigungswelle" zerschlagen. Der stern und RTL hatten zuvor investigativ über die Gruppe berichtet.

Es ist ein Schlag gegen die rechtsextreme Szene in Deutschland: Am frühen Mittwochmorgen hat der Generalbundesanwalt in drei Bundesländern zeitgleich Razzien durchführen lassen. 13 Objekte wurden durchsucht, fünf Personen wurden festgenommen. Sie sollen Mitglieder der "Letzten Verteidigungswelle" sein, wie sich selbst nannten – einer Neonazi-Gruppierung, die bis vor Kurzem wohl nur Szenekennern ein Begriff war. 

Vor wenigen Wochen veröffentlichte ein Reporterteam von sternund RTL gemeinsame Recherchen, die das Innenleben der Gruppe zeigen. Eine Reporterin hatte sich in die Gruppe eingeschlichen und über Monate investigativ recherchiert. Sie konnte in Chatgruppen mitlesen und warnte schließlich den Staatsschutz vor einem offenbar geplanten Anschlag der Rechtsradikalen. 

Wer aber ist die "Letzte Verteidigungswelle"? Und was macht die Gruppierung so besonders wie gefährlich? Die wichtigsten Fragen und Antworten in Kürze:

Wer ist die "Letzte Verteidigungswelle"?

Die selbsternannte "Letzte Verteidigungswelle" (LVW) ist eine mutmaßlich rechtsextreme Terrorgruppierung, die in mehreren Bundesländern aktiv war oder ist. Ihre Mitglieder sollen mehrere Brandanschläge geplant und durchgeführt haben. Unter anderem geht es um den Plan, eine bewohnte Asylbewerberunterkunft im brandenburgischen Senftenberg anzugreifen. Ein Mitglied der Gruppierung beschaffte zwei Kugelbomben in der Tschechischen Republik, wie Recherchen von stern und RTL zeigten und der Generalbundesanwalt nun bestätigte. Zur Ausführung kam es nicht.

Zudem deckte das Reporterteam die tatsächlichen Hintergründe eines Brandanschlags auf eine Kultureinrichtung im brandenburgischen Altdöbern auf. Bei dem Feuer waren die Ermittler ursprünglichen von einem technischen Defekt als Brandursache ausgegangen. 

Wie groß war die Gruppierung?

Das ist unklar. Während der verdeckten Recherche waren zeitweise etwa 60 Accounts Mitglied in der Chatgruppe der mutmaßlichen Terrorzelle. Der "harte Kern" der Gruppierung bestand laut der Recherche aus deutlich weniger Personen. Im Zentrum der Recherchen standen vor allem drei Jugendliche und junge Männer, die der Generalbundesanwalt nun zu den zentralen Figuren der Gruppe zählt.

Was macht die Gruppe so besonders?

Zweierlei Umstände: Zum einen waren die Mitglieder der "LVW" sehr jung. Laut stern-Informationen ist einer der mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe gerade einmal 15 Jahre alt. Die am Mittwoch festgenommenen Personen sind laut Generalbundesanwalt zwischen 14 und 18 Jahre alt.

Zum anderen unterscheidet sich die Strategie der Gruppe fundamental von der anderer Neonazi-Gruppen in der Vergangenheit: Während in früherer Zeit die Vernetzung der Mitglieder vor allem in der analogen Welt stattfand, etwa auf Szene-Treffs oder Rechtsrock-Konzerten, war die LVW ein Hybrid. Die Gruppierung bestand aus einer Chatgruppe, die wiederum mehrere lokale oder regionale Ableger in mehreren Bundesländern hatte. Die Vernetzung fand also anders als früher vor allem im digitalen Raum statt und wurde ins echte Leben übertragen. Anders als bei "klassischen" rechtsextremen Gruppen.

Was wird der Gruppe genau vorgeworfen?

Die Vorwürfe gegen die LVW wiegen schwer: Die oberste deutsche Strafverfolgungsbehörde wirft vier der am Mittwoch Festgenommenen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor, einem die Unterstützung einer solchen Vereinigung. Drei sollen sogenannte Rädelsführer der Gruppe gewesen sein. Unter den Vorwürfen nennt die Bundesanwaltschaft versuchten Mord, Brandstiftung und Sachbeschädigung.

"Die Mitglieder dieser Vereinigung verstehen sich als letzte Instanz zur Verteidigung der "Deutschen Nation", so die Karlsruher Behörde. "Ihr Ziel ist es, durch Gewalttaten vornehmlich gegen Migranten und politische Gegner einen Zusammenbruch des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen."

Bereits bei der Festnahme des 21-Jährigen mutmaßlichen Mitglieds, im Zuge der Recherchen des stern und RTL im Februar, wurde nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Dresden Sprengstoff in Form von zwei Kugelbomben gefunden. Außerdem Schlagringe, Einhandmesser, Munition, Schreckschuss- und Softairwaffen.

Wie reagieren die Behörden?

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig erklärte: "Besonders erschütternd ist: Alle heute Festgenommenen sollen bei Gründung der Terrorgruppe noch minderjährig gewesen sein." Es sei auch Aufgabe der Politik, der Radikalisierung gerade auch von Jugendlichen entgegenzuwirken. 

Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller erklärte bereits vor wenigen Wochen gegenüber dem stern: "Wir beobachten seit Mitte vergangenen Jahres ein neues Phänomen: sehr junge Rechtsextremisten, die in sozialen Netzwerken miteinander kommunizieren, die es aber auch schaffen, bei großen Demonstrationen deutschlandweit über 100 Teilnehmer zusammenzubringen." [...]

"Wir nennen das Phänomen gewaltbereite subkulturelle Neonationalsozialisten. Wir sehen kleine Gruppen, die sich zusammenfinden in der digitalen Welt, die aber auch bereit sind, sich in der realen Welt all jenen entgegenzustellen, die sie als Feinde empfinden. Und die jungen Nazis sind gewalttätig", so Müller. 

Als Reaktion des Verfassungsschutzes kündigte er eine "Kombination aus harter Repression und Prävention" an. 

Die ganze RTL-Doku über die investigativen Recherchen in der Letzten Verteidigungswelle sehen Sie hier