Offener Brief an Netanjahu: Medien fordern Zugang zum Gazastreifen

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Seit Oktober 2023 können Journalistinnen und Journalisten den Gazastreifen mit wenigen Ausnahmen nicht betreten. Kurz vor dem Jahrestag richten sich deutsche Medienhäuser in einem Offenen Brief an Israel und Ägypten. Sie fordern den Zugang für unabhängige Berichterstattung.

Medienhäuser aus Deutschland fordern von den Regierungen in Israel und Ägypten in einem Offenen Brief Zugang zum Gazastreifen für ihre Berichterstatterinnen und Berichterstatter. In dem gemeinsamen Appell heißt es: "Fast ein Jahr Krieg, und noch immer verhindern Ihre Regierungen, dass wir uns unbegleitet und unabhängig ein Bild über die Situation in Gaza machen können. Der fast absolute Ausschluss internationaler Medien bei einer Krise dieser enormen weltweiten Tragweite ist in der jüngeren Geschichte beispiellos."

Der Offene Brief ist von Chefredakteurinnen und Chefredakteuren sowie Intendantinnen und Intendanten der öffentlich-rechtlichen wie privater überregionaler Medienhäusern unterzeichnet. Es sind "Der Spiegel", "Die Zeit" und "Zeit Online", ARD, ZDF, "taz", "Süddeutsche Zeitung", "Stern", Deutsche Welle, "Bild", "Welt", Arte, das Redaktionsnetzwerk Deutschland, "Handelsblatt", RTL und ntv sowie die Organisationen Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalisten-Verband.

Außerdem hat Deutschlands größte Nachrichtenagentur, die Deutsche Presse-Agentur, unterschrieben. dpa-Chefredakteur Sven Gösmann sagt: "Nichts ist wahrhaftiger als Augenzeugenschaft unabhängiger Journalistinnen und Journalisten - gerade für uns als Nachrichtenagentur. Deshalb unterstützen wir die Forderung, diese unabhängige Berichterstattung zu ermöglichen."

"Wir sind keine Konfliktpartei"

In dem Offenen Brief, der den Angaben zufolge am Montag übermittelt wurde und der sich konkret an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi richtet, steht weiter: "Wir sind keine Konfliktpartei." Wer unabhängige Berichterstattung über diesen Krieg unmöglich mache, beschädige die eigene Glaubwürdigkeit.

"Wer uns verbietet, im Gazastreifen zu arbeiten, schafft die Voraussetzungen, dass Menschenrechte verletzt werden." Der Appell schließt mit den Sätzen: "Wir wissen um unser Risiko. Wir sind bereit, es zu tragen. Gewähren Sie uns Zugang zum Gazastreifen. Lassen Sie uns arbeiten - im Interesse aller!"

Immer wieder hatten Medien sowie Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Monaten beklagt, keinen ungehinderten Zutritt in die Nähe des Kriegsgeschehens im Gazastreifen zu bekommen, das eine Folge des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist. Bei dem Massaker der Hamas wurden mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln nach Gaza verschleppt.

Bereits am Montag hatte es einen weiteren Offenen Brief von zahlreichen Journalistinnen und Journalisten gegeben. Unter der Initiative "Gaza Journalist:innen schützen" fordern sie die Aufhebung eines israelischen Einreiseverbots für unabhängige internationale Berichterstatterinnen und Berichterstatter ins Kriegsgebiet. "In Gaza ist die Lage für Journalist:innen aktuell gefährlicher als irgendwo sonst auf der Welt", heißt es in dem Statement.

Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen wurden insgesamt 147 Medienschaffende seit dem 7. Oktober getötet, davon 140 im Gazastreifen, vier in Israel und drei im Libanon (Stand der Zahlen: 10. September).

Die Situation für Medienschaffende im Gazastreifen

Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der Getöteten in Gaza nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten örtlichen Behörden auf mehr als 41.000 gestiegen. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfenden und Zivilisten und lässt sich kaum überprüfen. Die indirekten Verhandlungen zur Freilassung der israelischen Geiseln im Gazastreifen, bei denen die USA, Ägypten und Katar vermitteln, drehen sich seit Monaten im Kreis.

Der Gazastreifen ist so gut wie abgeriegelt. In dem Offenen Brief fordern die Medienhäuser von Israel generell Zugang und von Ägypten Zugang speziell über den Grenzübergang Rafah. Nur vereinzelt hatten auch internationale Journalistinnen und Journalisten in Begleitung der israelischen Armee in den Gazastreifen reisen können.

Der Offene Brief im Wortlaut

An den Ministerpräsidenten des Staates Israel, Benjamin Netanjahu,
an den Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten, Abd al-Fattah as-Sisi,

fast ein Jahr Krieg - und noch immer verhindern die Regierungen Israels und Ägyptens, dass internationale Reporter und Reporterinnen in den Gazastreifen reisen, um darüber zu berichten. Fast ein Jahr Krieg, und noch immer verhindern Ihre Regierungen, dass wir uns unbegleitet und unabhängig ein Bild über die Situation in Gaza machen können. Der fast absolute Ausschluss internationaler Medien bei einer Krise dieser enormen weltweiten Tragweite ist in der jüngeren Geschichte beispiellos.

Nach fast einem Jahr Krieg fordern wir die israelische Regierung auf: Gewähren Sie uns Zutritt zum Gazastreifen!

Nach fast einem Jahr Krieg fordern wir die ägyptische Regierung auf: Lassen Sie uns über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen einreisen!

Nie ist die Anwesenheit von unabhängigen Reportern und Reporterinnen so wichtig wie in Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Wir sind keine Konfliktpartei. Wir, die Chefredakteurinnen, Chefredakteure und Intendanten, die Reporterinnen und Reporter und unsere Organisationen, die Verlage und Fernsehstationen, haben in der Bewertung und Analyse unterschiedlicher internationaler Krisen jahrzehntelange Erfahrungen.

Wer unabhängige Berichterstattung über diesen Krieg unmöglich macht, beschädigt die eigene Glaubwürdigkeit. Wer uns verbietet, im Gazastreifen zu arbeiten, schafft die Voraussetzungen, dass Menschenrechte verletzt werden.

Wir wissen um unser Risiko. Wir sind bereit, es zu tragen.

Gewähren Sie uns Zugang zum Gazastreifen. Lassen Sie uns arbeiten - im Interesse aller!

Unterzeichnet von:

  • DIE ZEIT, ZEIT ONLINE (Giovanni di Lorenzo, Jochen Wegner)
  • taz, die tageszeitung (Barbara Junge, Ulrike Winkelmann)
  • Stern (Gregor Peter Schmitz)
  • DER SPIEGEL (Dirk Kurbjuweit)
  • dpa (Sven Gösmann)
  • Reporter Ohne Grenzen (Anja Osterhaus)
  • Arte (Carolin Ollivier)
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland (Eva Quadbeck, Sven Oliver Clausen)
  • Deutscher Journalistenverband (Mika Beuster)
  • Süddeutsche Zeitung (Judith Wittwer, Wolfgang Krach)
  • BILD (Marion Horn)
  • DIE WELT (Ulf Poschardt)
  • ZDF (Bettina Schausten)
  • Handelsblatt (Sebastian Matthes)
  • RTL/ntv (Gerhard Kohlenbach)
  • Deutsche Welle (Peter Limbourg)
  • ARD (Kai Gniffke)

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