
Dreieinhalb Jahre lang hat Steffi Lemke für die Grünen das Bundesumweltministerium gesteuert. Am 6. Mai musste die Politikerin aus Dessau die Regierungsbank im Bundestag gegen die Oppositionsbank tauschen. Kurz vor der Amtsübergabe hat sie allerdings noch die erste Nationale Meeresschutzkonferenz eröffnet - damit Tausende Tonnen giftiger Weltkriegsmunition aus Nord- und Ostsee geborgen werden können, wie sie im "Klima-Labor" von ntv erklärt. Lemke hat auch andere Bereiche mit viel Geld ausgestattet. Die Zeiten, in denen Umweltschützer um Geld betteln mussten, sind ihr zufolge vorbei. Lemke sagt aber auch: Die Lorbeeren wird ihr Nachfolger einstreichen.
ntv.de: Sie haben an Ihrem letzten Arbeitstag - wenige Stunden vor der Amtsübergabe an Carsten Schneider - noch die erste Nationale Meeresschutzkonferenz eröffnet. Warum?
Steffi Lemke: Meeresschutz hat in der Bundespolitik bisher fast keine Rolle gespielt, denn Deutschland hat nicht so viel Meeresfläche. Aber wir wissen: Meere sind für das Klima, die weltweite Ernährung und die Sauerstoffproduktion unersetzlich. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, das Thema als Umweltministerin in der Bundespolitik endlich anzupacken. Deshalb war die Meeresschutzkonferenz ein guter Abschluss meiner Amtszeit.
Gibt es konkrete Pläne?
Wir haben begonnen, Weltkriegsmunition aus der Nord- und Ostsee zu bergen. Das sind Tausende Tonnen, die hochgiftige Substanzen ins Wasser absondern. Das wurde jahrelang verschoben, jetzt ist das Programm mit Geld ausgestattet und die ersten Probebergungen haben stattgefunden. Das ist ein Meilenstein. Ein zweiter ist das internationale Hochseeschutzabkommen: Zum ersten Mal können auf Hoher See - das ist das Gebiet, das keinem Nationalstaat gehört - Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden. Außerdem haben wir bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eine Meeresstiftung eingerichtet. Die bekommt knapp 500 Millionen Euro Stiftungsgeld und ist für die kommenden Jahre abgesichert.
Warum muss man sich jetzt um die Munition kümmern, wenn sie vorher niemanden gestört hat?
Es geht nicht um einzelne Blindgänger. Die Munition ist nach dem Zweiten Weltkrieg einfach ins Meer gekippt worden, ohne darüber nachzudenken, was das später verursachen könnte. Jetzt rostet und zerfällt sie und setzt giftige Substanzen frei - davon gibt es erste Nachweise in Muscheln. Deshalb muss so schnell wie möglich so viel wie möglich geborgen werden. Aber das ist kompliziert, das wurde weltweit noch nie versucht.
Was passiert nach der Bergung mit der Munition?
Es gibt in Deutschland eine Anlage, in der alte Munition vernichtet werden kann, aber es wäre auf dem Landweg nicht möglich, sie dorthin zu schaffen. Deshalb soll eine schwimmende Anlage auf einer Plattform auf See errichtet werden. Wenn das klappt, könnte das Modell weltweit eingesetzt werden. Es gibt großes Interesse daran, wir sind Vorreiter.
Sie haben auch andere Vorhaben mit sehr viel Geld ausgestattet. Insgesamt fließen 3,5 Milliarden Euro in das Programm "Natürlicher Klimaschutz" - so viel hat noch kein Umweltministerium verteilt. Geht es der Umwelt jetzt besser?
Bei dem Programm geht es darum, Auen und Moore zu renaturieren und alte Wälder zu erhalten. Das Ziel ist immer, CO2 zu speichern, aber auch mehr Wasser in der Landschaft zu halten. Das hilft bei Dürren und bei Hochwasser. Wir haben aber bei null begonnen, das Programm kann nicht innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden. Deshalb wird die Umwelt erst in einigen Jahren richtig davon profitieren.
Ist Geld der entscheidende Faktor beim Umweltschutz?
Ja. Naturschützer mussten jahrelang betteln gehen, um ein paar Millionen für den Schutz von Natur und Wald zu bekommen. Das hat nie gereicht. Jetzt ist eine vernünftige, aber auch notwendige Ausstattung vorhanden: Der Wald trocknet in weiten Teilen aus. Viele Böden sind so zerstört, dass sie kein Wasser mehr aufnehmen, dasselbe findet bei Mooren statt. Deshalb muss man "Natürlichen Klimaschutz" groß denken.
Sie gehen davon aus, dass Ihr Nachfolger Ihre Lorbeeren einstreichen wird. Schwarz-Rot denkt genauso groß wie Sie?
Der Koalitionsvertrag bereitet mir große Sorge. Dort finden Klima-, Umwelt- und Naturschutz faktisch nicht statt. Stattdessen werden umweltschädliche Subventionen erhöht. Ich habe die meisten schwarz-roten Akteure auch nicht so kennengelernt, dass sie die Dramatik im Wald, beim Wasserhaushalt oder den austrocknenden Mooren wirklich wahrnehmen.
Wären Sie gerne länger Umweltministerin geblieben? Sie wurden eher als ruhig und zurückhaltend wahrgenommen ...
Die deutsche Demokratie leidet definitiv nicht an zu wenigen Schreihälsen. Mir war nicht das Scheinwerferlicht wichtig, sondern Dinge auf den Weg zu bringen. Im Umwelt- und Klimaschutz gibt es keine Erfolge durch Fingerschnipsen. Man muss immer dicke Bretter bohren, benötigt einen langen Atem und Durchhaltevermögen. Und ja, ich war gerne Umweltministerin. Leider hat es unsere Regierung nicht geschafft, Erfolge nach vorn zu stellen, sondern zugelassen, dass der Streit dominiert. Deshalb ist die Ampel früher geendet als geplant. Ich hätte noch einiges vorgehabt.
Haben Sie den Streit auch in Ihrem Umfeld wahrgenommen?
Definitiv. Ich wohne in Dessau, also im tiefsten Sachsen-Anhalt. Das ist eine normale Kleinstadt mit normalen Menschen. Im privaten Alltag gab es wenig Verständnis für manch unnötige Auseinandersetzung.
Zum Beispiel? Wurden Sie auf der Straße angesprochen?
Ja, aber ich bin dort auch in einem Sportverein. Dort gab es ebenfalls politische Debatten und einige hitzige Wortgefechte über die Ampel. Erstaunlicherweise gab es aber auch sehr viel Zustimmung oder Aussagen wie: Wir beneiden euch nicht darum, was ihr alles entscheiden und verantworten müsst. Umso enttäuschender war das Wahlergebnis.
Liegt es vielleicht daran, dass die Grünen ihre Kernthemen vernachlässigt haben? Im Wahlkampf waren Umwelt- und Klimaschutz kaum sichtbar. Stattdessen haben die Grünen versucht, mit sozialer Gerechtigkeit Punkte gegen die Linke zu sammeln.
Ich halte es für einen Fehler, Klimaschutz auf ökologische und technische Aspekte zu verengen. Er berührt unser Trinkwasser, unsere Lebensmittel und die Artenvielfalt. Die meisten Menschen möchten sich in der Natur erholen. Solche Aspekte sind sicherlich zu kurz gekommen, aber derzeit wird Klimaschutz weltweit nicht nur ignoriert, sondern offensiv bekämpft. Die fossile Welt versucht, diese Themen zurückzudrängen. Das hat vor Europa, vor Deutschland und möglicherweise auch vor meiner Partei nicht Halt gemacht.
Die Grünen haben in der vergangenen Legislatur die Ministerien für Landwirtschaft, Ernährung, Klima und Wirtschaft kontrolliert. Trotzdem ist es nicht gelungen, diese Themen in den Vordergrund zu rücken?
Gemessen an unseren Plänen haben wir riesige Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien erzielt. Das gilt auch für die Klimaanpassung, den Wasserschutz und die Kreislaufwirtschaft. Wir führen immer mehr Rohstoffe im Kreis, statt immer neuen Müll zu produzieren. Aber der russische Angriff auf die Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel und letztlich das Hinschmeißen der FDP und Christian Lindner haben diese Dinge permanent überlagert. Das sollte die neue Regierung besser machen.
Sie wechseln ab sofort in die Rolle der Opposition. Würden Sie der neuen Regierung Erfolge gönnen?
Dafür muss sie erst einmal Erfolge liefern. Das ist der erste Schritt. Wenn sie das schafft, sollte eine Opposition auch in der Lage sein, das zu loben.
Mit Steffi Lemke sprach Clara Pfeffer. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau, De-Industrialisierung und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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