Zumindest Moskau und Ankara gehen von weiteren Verhandlungen aus. Ob es dazu kommt, ist unklar. Die Kriegsparteien erwarten derweil den bislang größten Gefangenenaustausch.
Nach den ersten direkten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine seit drei Jahren ist offen, ob diese fortgesetzt werden. Konkrete Pläne für weitere Treffen und einen möglichen Zeitpunkt dafür wurden von den Vertretern der Konfliktparteien nicht genannt. Allerdings gehen zumindest Russland sowie die vermittelnde Türkei von weiteren Gesprächen aus. Die Ukraine äußerte sich zunächst nicht dazu. Derweil lieferten sich russische und ukrainische Truppen weiter erbitterte Kämpfe.
Am Freitag hatten Vertreter Moskaus und Kiews unter türkischer Vermittlung knapp eineinhalb Stunden über ein mögliches Ende des russischen Angriffskrieges gesprochen. Über eine Waffenruhe wurde keine Einigkeit erzielt. Einzig greifbares Ergebnis war die Vereinbarung, jeweils 1000 Kriegsgefangene auszutauschen. Das wäre der bisher größte Austausch dieser Art seit Kriegsbeginn im Februar 2022. Ein genauer Zeitpunkt wurde nicht öffentlich genannt. Der Austausch solle aber "in nächster Zeit" erfolgen, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow.
Türkischer Minister: Im Prinzip Einigung auf weitere Gespräche
Der türkische Außenminister Hakan Fidan verbreitete auf der Plattform X nach dem Gespräch die Ansicht, dass sich die russischen und ukrainischen Delegationen "im Prinzip" auf weitere Gespräche geeinigt hatten. In Moskau machte der Leiter des Außenausschusses im russischen Parlament, Leonid Sluzki, deutlich, er rechne mit einer schnellen Entscheidung über neue Gesprächsrunden.
"Die Auswertung wird Stunden, höchstens Tage dauern", sagte Sluzki im russischen Staatsfernsehen. Dann könne mit der Gegenseite über einen neuen Termin gesprochen werden. Dabei gebe es keinen Grund, Zeit zu verlieren. "Jede Stunde bedeutet Menschenleben", sagte er. Schon die zweite Verhandlungsrunde könnte "entscheidend" werden.
Verbündete der Ukraine reagieren nach Istanbul-Gesprächen nicht direkt
Von den Verbündeten der Ukraine gab es zunächst keine direkten öffentlichen Reaktionen auf das Gespräch. US-Präsident Donald Trump hatte schon am Donnerstag – nach Bekanntwerden des Fehlens von Kremlchef Wladimir Putin – gesagt, dass er keine großen Erwartungen an das Treffen habe. "Es wird nichts passieren, bis Putin und ich zusammenkommen", sagte er kürzlich während seiner Golfstaaten-Reise. Er erklärte zudem erneut seine Bereitschaft, sich so bald wie möglich mit dem Kremlchef zu treffen, um den Krieg zu beenden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Putin am vergangenen Wochenende öffentlich zu einem persönlichen Treffen in Istanbul aufgefordert. Putin hatte darauf nicht geantwortet und stattdessen eine rangniedrigere Delegation zu Gesprächen in die Türkei geschickt.
Der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinski, zeigte sich zufrieden mit dem Treffen in Istanbul. Die beiden Seiten hätten vereinbart, vor einer nächsten Gesprächsrunde ihre Vorstellungen von einer Waffenruhe im Detail auszuarbeiten und der Gegenseite zu übermitteln. Die ukrainische Delegation habe zudem ein direktes Treffen der Staatspräsidenten Selenskyj und Putin gefordert. "Wir haben diese Bitte zur Kenntnis genommen", wurde Medinski von russischen Medien zitiert.
Ukrainische Delegation berichtet von Differenzen
Der ukrainische Außenamtssprecher Heorhij Tychyj bestätigte Medienberichte, wonach es harte Differenzen bei den Gesprächen gegeben habe. "Bei den Verhandlungen gab es tatsächlich Forderungen, die wir für unannehmbar halten", sagte Tychyj, nannte aber keine Details.
Zuvor hatten Berichte kursiert, wonach die russische Seite weiterhin einen vollständigen Rückzug der Ukraine aus den von Russland beanspruchten Provinzen sowie eine Anerkennung der Annexionen fordere. Tychyj sagte: "Wir haben uns darauf vorbereitet. Die ukrainische Delegation wusste, dass das kommt. Daher hat sie einen sehr zurückhaltenden Ton eingehalten und ruhig ihre Linie verteidigt, ihre Position ausgesprochen. Wir finden, dass die ukrainische Delegation hinreichend effektiv gearbeitet hat."
Macron kündigt neues Ukraine-Gespräch mit Trump an
Die Ukraine erwartet nach Angaben des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in den kommenden Stunden eine Rückmeldung auf an Russland übermittelte Forderungen. "Danach werden wir erneut die Gelegenheit haben, uns mit Präsident Trump auszutauschen", erklärte Macron nach dem Ende eines Treffens europäischer Staats- und Regierungschefs in der albanischen Hauptstadt Tirana.
Macron hatte bereits am Freitagnachmittag gemeinsam mit Selenskyj, Bundeskanzler Friedrich Merz sowie Großbritanniens Premier Keir Starmer und Polens Regierungschef Donald Tusk mit US-Präsident Trump telefoniert. "Es ist klar, dass der Vorschlag für einen bedingungslosen Waffenstillstand derzeit die einzige konkrete Initiative ist, die auf dem Tisch liegt", sagte Macron. Für den Fall, dass es keine positive Antwort gebe, bereite man in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten weitere Sanktionen vor.
Der polnische Außenminister Radek Sikorski ist der Ansicht, dass Putin nur auf Zeit spielt. "Er ist noch immer überzeugt, dass er gewinnen kann", sagte Sikorski dem "Tagesspiegel". Die Anwesenheit Trumps sei für einen Verhandlungserfolg nicht zwingend erforderlich.
"Das Land, das den Krieg beenden und Putin in die Schranken verweisen könnte, ist China", sagte Sikorski. "Würde China mit einem Handelsembargo drohen, wäre Russland gezwungen, sich zu fügen." China bezeichnet sich im Ukraine-Krieg offiziell als neutral. Das Land steht aber international in der Kritik, Russland bei der Invasion zu unterstützen.
Weiter Kämpfe in der Ukraine
Abseits der Verhandlungstische lieferten sich russische und ukrainische Truppen weiter erbitterte Kämpfe. Der ukrainische Generalstab berichtete in seiner Tagesbilanz von 61 russischen Angriffen, die Mehrzahl rund um die Dauerbrennpunkte Torezk und Pokrowsk. Aus der südukrainischen Stadt Cherson wurden russische Drohnenangriffe gemeldet, dabei wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen verletzt. In Kupjansk im Osten der Ukraine wurden bei russischen Artillerieangriffen nach offiziellen Angaben vier Menschen verletzt.