Krieg in der Ukraine: Putins Donbassoffensive – Kiews Front im Osten zerbricht

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Der Donbass zahlt den Preis für die Kurskoffensive. Seit Kiews Elitetruppen fehlen, treiben die Russen die Verteidiger vor sich her. Eine Katastrophe bahnt sich an.

Das ganze Jahr lang liefen die Kämpfe im Osten nicht gut für die freie Ukraine. Die Russen drückten an zahlreichen Stellen, die Ukrainer hielten dagegen – aber irgendwann mussten sie die eine oder andere Position aufgeben. Doch die Russen erlitten teils spektakuläre Verluste, und ihr Vormarsch geschah sehr langsam. Im Militärjargon konnte man sagen: Kiew tauschte Raum gegen Zeit und Blut. Zumindest dann, wenn man an die Angaben glaubte, die Kiew über die russischen Verluste machte.

Dass diese Rechnung trügerisch war, zeigte sich schon im Februar, als die Festungsstadt Awdijiwka fiel. In einem chaotischen Rückzug in letzter Sekunde konnte sich nur ein Teil der Truppen aus dem Kessel lösen, viele Soldaten gerieten in Gefangenschaft oder wurden beim Marsch über die Felder zusammengeschossen. Hier zeigte sich die geballte Macht der russischen Gleitbombenangriffe. Über 100 Präzisionsbomben brachen über die Verteidiger herein.

Kursk-Offensive kostet wertvolle Kräfte 

Danach begann die ukrainische Front zu rutschen. Kiew hatte immer seltener die Kraft zu energischen Gegenstößen, die Russen verbesserten ihre Taktik. Ihren Vormarsch konnte man immer noch nicht als stürmisch bezeichnen. Doch die Lage der ukrainischen Streitkräfte erschien immer verzweifelter. Für sie ging es nur zurück, trotz zähen Widerstandes.

Luftschlag Putin

Über den August hat sich die Lage weiter verschlechtert, die Front bricht zusammen. Drei wichtige Städte sind unmittelbar bedroht Tschassiw Jar, Torezk und Pokrowsk. Kiew kann die Russen nicht stoppen, weil es an Soldaten und Gerät mangelt. Tendenziell bestand das Problem schon zuvor, seit der Kursk-Offensive hat es sich dramatisch verschärft. Die viel zu langen Frontlinien sind teils kaum besetzt. Stoßen die Russen auf hartnäckigen Widerstand von motivierten Elitetruppen, etwa in den Hochhäusern von Torezk, probieren sie es zunächst mit Gleitbomben. Kommen sie so nicht zum Ziel, greifen sie an anderer Stelle an, wo sie auf keinen Widerstand stoßen oder wo sie auf frisch aufgestellte Formationen aus eingezogenen Truppen stoßen. Knapp ausgebildete Wehrpflichtige können im Häuserkampf kleiner Gruppen nicht bestehen. So umgehen die Russen die besser vereidigten Positionen der Ukrainer, die sich schließlich zurückziehen müssen.

Ukraine: Keine elastische Verteidigung

Seitdem die besten Verbände der Ukraine bei Kursk kämpfen, fehlt die Kraft zu einer elastischen Verteidigung. Zuvor hatten die Eliteformationen die einfachen Truppen wie eine Feuerwehr unterstützt, wenn die Russen angriffen. Inzwischen sind Gegenangriffe zu Mini-Aktionen geschrumpft. Mal taucht ein Panzer auf, um die Russen zu behindern, mal eine Gruppe von Kommandosoldaten. Die haben durchaus Erfolg und schlagen die eine oder andere russische Gruppe zurück – doch diese Einzelaktionen bleiben ohne nachhaltige Wirkung. 

Im Osten wird der Preis für die Erfolge bei Kursk gezahlt. Putin hat den Köder nicht geschluckt. Bislang wurden kaum Truppen aus dem Osten abgezogen und nach Kursk geschickt. Die Russen haben ihr strategisches Ziel im Osten im Auge behalten und nehmen die ukrainische Besetzung russischen Gebiets zunächst hin. Das ukrainische Oberkommando sagt, dass die Russen im Osten ihre letzten Reserven in die Schlacht werfen und die Krise bald vorüber sei. Nur Belege dafür gibt es nicht. Im Moment steigern die Russen ihre Offensive.

Guerilla Taktik 18.20

Neue Verteidigungslinie im Donbass 

Im Raum von Pokrowsk berichten ukrainische Blogger von leeren Gräben und verlassenen Stellungen. Nur Drohnen und Minen hemmen den russischen Vormarsch. Angeblich werden selbst Drohnenpiloten an die Front geschickt, um die Lücken zu füllen. Es ist die Rede davon, dass regionale Kommandeure das wirkliche Bild an der Front nicht nach oben melden. "Die Lage im Sektor Pokrowsk ist nicht mehr kritisch, die Lage ist bereits katastrophal", so der ukrainische Militärjournalist Jurij Butusow.

Von einer planlosen Flucht kann man nicht reden. Die verbliebenen Truppen ziehen sich in Richtung auf die Städte zurück. Dort werden sie versuchen, in einer kürzeren Frontlinie die Russen aufzuhalten. Zumindest in Torezk haben die Russen schon das eigentliche Gebiet der Stadt erreicht. Sie rücken bereits in Richtung Stadtzentrum vor und haben die gewaltige, festungsartige Haftanstalt am Ostrand der Stadt umgangen. Bei Pokrowsk arbeiten sich die Russen immer schneller an die Stadt heran und umfassen sie im Süden. Nach Angaben russischer Blogger haben sie den Ostteil der Siedlung Selydowe bereits erobert, nachdem sie die nahe gelegene Mine und ihre Abraumhalde eingenommen haben.

Kursk so lang 1455

Bislang haben die Russen weder Tschassiw Jar, Torezk und Pokrowsk erobert. Doch zumindest in Torezk und bei Prokrowsk ist derzeit nicht zu erkennen, dass die Ukrainer eine stabile Verteidigung einrichten konnten. Gelingt ihnen dies nicht, ist es möglich, dass die Russen diese Städte relativ schnell einnehmen. Wenn Kiew die aktuelle Krise unter Kontrolle bringt, droht den Städten das Schicksal von Bachmut oder Awdijiwka – also die totale Zerstörung. Angesichts des russischen Momentums und der momentanen Schwäche der ukrainischen Streitkräfte ist nicht mit einem monatelangen Abwehrkampf zu rechnen.

Drei Städte entscheiden die Schlacht um den Donbass 

In Pokrowsk laufen die zentralen Versorgungslinien der ukrainischen Donbassfront zusammen. Schon mit der russischen Annäherung jetzt auf weniger als zwölf Kilometer kann die Stadt nicht mehr als Logistik-Hub fungieren. Dieser Ausfall an Versorgung gefährdet die gesamte Front im Osten. Tschassiw Jar, Torezk und Pokrowsk schirmen die Städtekette von Slowjansk bis zu Kostjantyniwka ab. Diese großen Städte sind Kiews letzte Verteidigungslinie im Osten. Sollten die Russen Tschassiw Jar, Torezk und Pokrowsk unter ihre Kontrolle bringen, haben sie eine ausgezeichnete Position, um in einer späteren Offensive diesen Riegel aus den Angeln zu heben. 

Ohne nennenswerte Verstärkungen an Infanterie und an Schützenpanzern und Kampfpanzern wird es kaum möglich sein, die Russen auf Dauer aufzuhalten. Fragt sich nur ob Kiew genügend Reserven hat, um den Donbass zu verstärken und die Kursk-Operation weiter zu nähren. Wenn Kiew Kräfte aus dem Norden abziehen muss, um die Lage im Osten zu stabilisieren, ist die Kursk-Offensive im Grunde gescheitert.