Titelbild: Die in grün gefärbte Fotografie einer Verkehrskreuzung mit einem Straßenschild zwei sich kreuzender Straßen von hinten. Darüber in Rot die Frage: Wirklich eine Alternative?
Hörversion des Artikels (8 min 11 s)
Das Fediverse macht gerade so viel Werbung für sich, wie schon lange nicht mehr. Kein Wunder, in einer Zeit, in der die Entwicklungen auf den Plattformen von X, Meta und Co. immer mehr Menschen von diesen weg treiben. Es ist eine Zeit, in der sich viele Menschen auf die Suche nach einer Alternative zu ihrer gewohnten Social Media Nutzung begeben. Und viele im Fediverse möchten diese Menschen erreichen und ihnen ihre selbstverwaltete Social Media Welt vorstellen.
Es gibt aktuell so viele Sprechstunden, Workshops und FediTreffs, so viele Vorträge, Erklärvideos und Anleitungen, dass es vermutlich so einfach wie noch nie ist, mit dem Fediverse in Berührung zu kommen. Ich finde das richtig toll! In meine Rolle der "Erklärtante für das Fediverse" bin ich selbst ja auch nur gerutscht, weil es so wenig andere Menschen gab, die das Fediverse besprechen wollten. Und glaubt mir, ich bin froh, dass ich mittlerweile bei Anfragen auf so viel gute Arbeit von so vielen anderen tollen Menschen verweisen kann.
Aber wie das immer so ist, ich möchte heute über ein Haar in der Suppe sprechen. Denn nichts ist perfekt und an einem weit verbreiteten Narrativ stoße ich mich in letzter Zeit immer mehr und ich habe es sogar schon in diesem Beitrag benutzt: es geht um die Erzählung, dass das Fediverse (nur) eine Alternative zu den "etablierten" Social Media Diensten sei. Welche Probleme ich genau mit dem Bild der Alternative habe, möchte ich euch in diesem kurzen Beitrag näher bringen.
Was ist eine Alternative?
Schauen wir doch zusammen fix auf Wikipedia, wie das Wort Alternative überhaupt definiert wird. Dort steht direkt zu Beginn des Artikels zum Begriff:
Als Alternative (lateinisch alter, „der eine, der andere“, zu lateinisch alternare, „abwechseln“[1]) wird im engeren Sinne die Möglichkeit zur Entscheidung zwischen zwei Handlungsvarianten, Wirtschaftsobjekten oder Sachverhalten im Sinne einer Entweder-oder Entscheidung bezeichnet.[2]
Es wird sich also in der Regel auf zwei verschiedene Wege beschränkt. Um die Alternative zu etwas zu sein, muss es also immer einen ersten Weg geben, einen Standardweg. Oder zumindest einen gleichwertigen Weg. Ich finde, die Formulierung, das Fediverse wäre die Alternative zu Meta, X, TikTok, Bluesky und Co., setzt es immer direkt in Verbindung zu diesen Plattformen. Als wären wir im Fediverse von den großen Plattformen abhängig, wie sich diese entwickeln, um überhaupt eine Alternative anbieten zu können.
Zwar gibt es tatsächlich viele Dienste im Fediverse, die immer wieder einer "direkten Alternative" zugeordnet werden, aber das Fediverse so zu beschränken, wäre zu kurz gedacht. Ja, Pixelfed wird stets mit Instagram verglichen, PeerTube mit YouTube, Mastodon mit X und so weiter und so fort. Aber es gibt auch Dienste, die kein direktes Pendant haben, wie die verschiedenen WordPress-Plugins, Hubzilla oder die reinen Kalendertools. Nicht zu vergessen, die vielen Misskey- und Pleroma-Plattformen, die sich gegenseitig referenzieren.
Das Wecken falscher Erwartungen
Auch wecken wir, wenn wir von dem Fediverse als Plattform alternativer Social Media Dienste sprechen, bei vielen falsche Erwartungen. Wir befeuern einen direkten Vergleich, dem die einzelnen Plattformen zum Teil gar nicht standhalten wollen.
Wer Pixelfed als Alternative für Instagram anpreist, malt beim Gegenüber das Bild in den Kopf, dass auf Pixelfed zumindest alle grundlegenden Funktionen von Instagram zur Verfügung stehen würden. Was nicht der Fall ist. Es gibt keinen Algorithmus und damit nicht die Tricks und Kniffe, zu versuchen "viral" zu gehen. Es gibt keine Reels, es gibt keine Shorts und es gibt keine gemeinsamen Beiträge. Weil Pixelfed eine Image-Sharing-Plattform ist, die vor allem von Künstler*innen genutzt wird. Der Fokus des Dienstes ist ein anderer als der von Instagram und so sind auch die Funktionen andere. Pixelfed bietet beispielsweise die Möglichkeit, detaillierte technische Angaben für Fotografien bei Beiträgen einzutragen. Eine Funktion, die Instagram fehlt. Aber wenn bei den Menschen, die Jahre lang Instagram genutzt haben, die Erwartung geschürt wird, sie hätten in Pixelfed eine Alternative zu dem, was sie eben seit Jahren kennen, setzt oft große Enttäuschung ein, wenn sie Pixelfed tatsächlich nutzen, weil es sich um einen vollkommen anderen Dienst handelt. So sieht es am Ende bei jedem Dienst aus, der gern für Direktvergleiche herangezogen wird.
Wir können mehr
Ich sprach bereits die verschiedenen Funktionen einzelner Dienste an. Diese zeigen, dass diese mehr sind, als eine bloße Kopie der Plattformen der Walled Gardens. Allerdings hat das Fediverse noch einige Aspekte, die es komplett von den Großkonzernen abhebt, die bei der Gegenüberstellung der Nutzung des Alternativenbegriffs gern untergehen.
Zuallererst wäre da natürlich die Interoperabilität der Fediverse-Dienste! Wir können mit unserem Mastodon-Account unter einem PeerTube-Video kommentieren oder mit einem Pixelfed-Account Misskey-Beiträge lesen. Die Föderation nicht nur zwischen verschiedenen Servern, sondern auch zwischen verschiedenen Diensten im Fediverse, ist einfach unbezahlbar.
Außerdem bieten wir im Fediverse eine große Wahlfreiheit. Wir entscheiden selbst, durch welches Fenster wir in das Fediverse schauen wollen, welchen Dienst wir nutzen. Wir entscheiden selbst, welche Regeln wir für unseren Umgang miteinander wählen, auf wessen Server wir sind und wem wir unsere Daten anvertrauen und wo wir unsere Netzwerke aufbauen. Diese Autonomie lässt sich schwer mit der Konzernabhängigkeit zentraler Plattformen vergleichen.
Fazit
Natürlich sehe ich ein, dass es sehr kleinlich wirkt, einen ganzen Artikel über eine einzige Formulierung zu schreiben. Es handelt sich um lediglich einen einzigen Begriff, eine gängige Formulierung zur Veranschaulichung eines komplexen Themas. Bei Erklärungen und Anleitungen muss auch einiges, worüber Fachleute stunden lang reden könnten, vereinfacht werden. Das ist mir alles bewusst. Aber diese Formulierung der Alternative macht auch etwas mit unserer Selbstwahrnehmung. Wenn wir vom Fediverse immer nur als Alternative sprechen, machen wir unser Netzwerk und unsere Arbeit nur unnötig klein. Wir sind etwas Größeres, als eine Kopie! Das Fediverse wird es noch geben, wenn die nächsten Hype-Plattformen von irgendeinem US-Milliardär gekauft und kaputt gespielt wurden. Allein diese Tatsache sollte uns das Selbstbewusstsein geben, auf unsere Selbstständigkeit zu pochen, statt uns immer nur als Abziehbild der Großkonzerne zu labeln.
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Dieser Beitrag ist der 13. Artikel meiner Kolumne hier bei GNU/Linux.ch. An jedem ersten Montag im Monat erscheint ein neuer Meinungsbeitrag von mir zum Fediverse.
Weiterführende Links:
https://podcasts.homes/@ueckueck_und_das_fediverse/episodes/sind-wir-wirklich-nur-eine-alternative
https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative#cite_note-2
https://gnulinux.ch/wzs-ueckueck-und-das-fediverse
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