Ückück und das Fediverse: Was kommt nach der nächsten Welle?

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Kann sie jetzt also in die Zukunft sehen? Nein, natürlich nicht. Aber ich möchte mit euch meine Gedanken zu der aktuellen Wechselwelle in das Fediverse teilen - ein ganz klassischer Meinungsbeitrag eben.

Titelbild: In hellblau gefärbter Ostseestrand. Darüber in grün die Frage: Was kommt nach der nächsten Welle?

Hörversion des Artikels (9 min 20 s)

Die Walled Gardens brechen zusammen

Das, was viele Menschen aus der Freien Software Bubble schon lange vorhergesagt haben, passiert gerade: Die zentralisierten, Daten sammelnden und geschlossenen Social Media Netzwerke sind unbewohnbar geworden und zerfallen. Doch statt sich jetzt zurück zu lehnen, die Hände zu reiben und hämisch: "Hab ich doch gesagt", zu flüstern, sollten wir überlegen, wie es jetzt weiter gehen soll.

Denn viele, die früher auf X, Instagram und co. unterwegs waren, sind gerade auf der Suche nach einem neuen digitalen Zuhause. Aber nicht alle, die auf dieser Suche im Fediverse landen, sind das erste Mal im dezentralen Netzwerk unterwegs. Denn seit der Übernahme Elon Musks von Twitter, gab es immer wieder Vorkommnisse, die die Menschen dazu gebracht haben, sich nach Alternativen umzusehen. Es sind zwar einige nach diesen Umzugswellen im Fediverse geblieben, aber viele sind auch wieder zurück zu Twitter gegangen oder haben sich auf dritte Plattformen, wie etwa Instagram und Facebook, konzentriert. Allerdings wollen jetzt viele, die damals wieder auf Twitter, oder wie Elon Musk es umgenannt hat X, zurück gegangen sind, dem Netzwerk jetzt endgültig den Rücken zu kehren. Aber auch für viele, die sich noch nie nach Alternativen umgesehen haben, ist ein Netzwerk, dessen Eigentümer öffentlich den Hitlergruß macht, kein Ort, an dem sie mehr unterwegs sein wollen. Denn seit Trumps Amtsantritt scheint es so, als hätte Musk jetzt die Chance, alles Schlechte umzusetzen, was ihm so einfällt. Und dieses Verhalten weitet sich auch auf die Dienste von Mark Zuckerbergs Meta aus. Seit er die Nutzungsrichtlinien grundlegend geändert hat, wollen auch viele von Instagram, Facebook und Co. so schnell wie möglich verschwinden.

Es kommen also aktuell sehr viele Menschen aus sehr vielen unterschiedlichen Gründen im Fediverse an. Menschen, die zum ersten Mal aus geschlossenen Netzwerken raus wollen, Menschen die das Fediverse bereits kennen, Menschen die bisher nur Mastodon kennen und natürlich nach wie vor all die Menschen, die noch keine Vorerfahrungen mit Sozialen Netzwerken haben.

Migration in das Fediverse?

Doch es wäre vermessen zu glauben, dass alle, die gerade nach Alternativen zu X, Instagram und Facebook suchen, (nur) im Fediverse landen. Viele gehen Richtung Bluesky oder bauen sich möglichst viele Standbeine bei ihrer Online Präsenz auf und für sie ist der obligatorische Mastodon-Account jetzt einer von vielen, die betreut werden müssen.

Eine wirkliche Migration findet deshalb nicht unbedingt statt, u.a., weil viele nicht mehr nur auf einer Plattform aktiv sein wollen. Ihnen fehlt das Vertrauen in nur ein einziges Netzwerk, auch wenn es dezentral ist. Auch wenn ich diese Entwicklung prinzipiell gut finde und jeder Zeit einen guten Newsletter oder eine informative Website einem Social Media Auftritt auf einer geschlossenen Plattform vorziehe, kann es bedeuten, dass doch weniger Liebe in den neu eröffneten Account fließt. Wer zehn Informationswege statt 3 mit der gleichen Anzahl Menschen anbietet, hat eben weniger Zeit für jeden einzelnen.

Zudem hat sich in meiner Wahrnehmung leider wenig an der Mastodon-Fixierung vieler Neulinge geändert. Dabei wäre jetzt die Chance, dass auch andere Dienste mehr Zuspruch erhalten, weil die Menschen nicht nur von einem Microblogging-Dienst zum nächsten wechseln, sondern viele eben von Diensten kommen, die nur wenig mit Mastodon gemein haben. Diese Mensnschen hätten mit anderen Diensten wie Friednica, Pixelfed oder Misskey vermutlich mehr Freude. Aber alle Anfragen von politischen Gruppen und Privatpersonen, die aktuell an mich gerichtet oder weiter geleitet werden, betreffen Mastodon.

Das hat defintitiv viel mit der meist mangelhaften Berichterstattung über das Fediverse zu tun, aber wir machen als Community auch nicht gerade die beste Eigenwerbung.

Da stellt sich die Frage, wie diese Missverständnisse ausgeräumt werden können?

Das Spannungsfeld zwischen Hilfe, Überforderung und Belehrung

Die einen brauchen diese, die andere jene Hilfestellung und manche wollen gar keine Hilfe. So gut gemeint es ist, neue Menschen mit Anleitungen zu überschütten, kann diese Informationsflut auch überfordern und ein nett gemeinter Ratschlag belehrend bei der anderen Seite ankommen. Für manche ist es auch abschreckend, dass es überhaupt so viele Anleitungen, Vorträge etc. für das Fediverse gibt oder sie gelangen an eine technische Erklärung, obwohl sie nur ihren Account einrichten wollen oder an Tipps neue Accounts zu finden, obwohl sie die Technik hinter dem Fediverse verstehen wollen.

So sehr es in den Fingern juckt, jeder neuen Person ungefragt Tipps zu geben, bitte unterdrückt den Impuls. Begrüßt die Leute stattdessen freundlich, fragt nach, ob und wie ihr helfen könnt und wenn ihr gern eure Expertise teilen wollt, überlegt euch, wie ihr konkrete offene Angebote schaffen könnt. Ob ihr jede neue Person auf dem Server freundlich begrüßt, Online-Sprechstunden anbietet oder einen Workshop in eurer Stadt organisiert (mein nächster ist übrigens am 13. März 2025), haltet die Arme offen, aber knüppelt die Leute nicht mit zu vielen Informationen nieder.

Unendliches Wachstum?

Die eine oder der andere fragen sich vielleicht, ob es überhaupt gut ist, wenn jetzt so viele neue Menschen in das Fediverse dazu kommen. Schließlich hatten wir in den letzten Jahren ganz schöne Wachstumsschmerzen, von Servern, die ausgefallen sind, weil in sehr kurzer Zeit zu viele Neuanmeldungen kamen, über Bot-Wellen und der Angst vor Veränderung bis hin zu rechtlichen Fragen, wenn Server zu groß werden, gibt es einige Unsicherheiten. Auch ist ein dezentrales Netzwerk nicht auf schnelles Wachstum ausgelegt und viele wollen vor allem große Server und die damit einhergehenden Probleme im ganzen Netzwerk vermeiden (dieses Thema wäre sicherlich einen gesonderten Beitrag wert).

Allerdings sehe ich diese Gefahr bei der aktuellen Welle der Neuankömmlinge gar nicht so groß, wie bei den Wellen der letzten Jahre, da diese eigentlich aus vielen kleinen Wellen besteht. Eben den vielen verschiedenen Menschen, von denen ich eingangs geschrieben habe. Außerdem haben wir die Zeit seit Elon Musk Twitter gekauft hat auch überlebt und wenn wir mit den wirklich alten Hasen im Fediverse sprechen, können sie von etlichen Wellen mit Neuanmeldungen zuvor erzählen, als noch gar nicht an Elon Musks Weltherrschaftspläne zu denken war.

Und nun?

Auch dieses Mal werden viele Neue wieder gehen und es wird sich vermutlich für die, die bereits länger dabei sind, gar nicht so viel verändern. Der Ton im Fediverse ist mit dem Wachstum der vergangenen Jahre schon länger rauer geworden. Mehr Leute insgesamt im Netzwerk bedeuten eben auch mehr Menschen, die gern pöbeln, trollen oder einfach andere stören wollen. Das Fediverse ist eben kein Wohnzimmer mehr. Aber dafür ist es seit den letzten Wellen auch bunter geworden. Natürlich sind auch unterschiedliche Kommunikationsweisen im Internet aufeinander gestoßen und das passiert auch jetzt wieder, aber viele haben sich in den vergangenen Jahren auf die neuen Gepflogenheiten eingelassen und das wird wieder passieren. Auch unsere Struktur bleibt gleich. Es gibt immer noch neue Dienste und funktionale Trends, es gibt immer noch neue Bubbles und es ist immer noch alles im Aufbau und nie wirklich fertig. Daran wird sich auch, denke ich, nicht so schnell etwas ändern. Wir werden diese Welle überstehen, Menschen werden wieder gehen und es wird die nächste Welle kommen und auch die werden wir zusammen meistern.

Aber ich weiß natürlich auch nicht alles. Vielleicht täusche ich mich komplett und alle werden auf einmal erkennen, dass auch Bluesky keine Lösung ist, Monopole werden auch für die letzten auf X, den Meta-Diensten, TikTok und Co. unattraktiv und es entstehen zig neue Fediverse-Server. Oder vielleicht ist die dezentrale Struktur des Fediverse doch nicht so resilient, wie ich hier behaupte, und wir werden von einem Dienst, der wieder irgendwelchen Tech-Bros gehört, aber föderiert, faktisch überschwämmt. Vielleicht werden auch bald ganz viele zur nächsten goldenen Kuh pilgern und das Fediverse verlassen und es bleiben nur die alten Hasen übrig. Vielleicht passiert auch nichts davon. Das wird vermutlich nur die Zeit zeigen.

Aber ich möchte nicht die Hoffnung aufgeben, dass wir zusammen vielen neuen Menschen auf Dauer ein neues digitales Zuhause im Fediverse bieten können und wir dadurch alle profitieren können.

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Dieser Beitrag ist der zehnte Artikel meiner Kolumne hier bei GNU/Linux.ch. An jedem ersten Montag im Monat erscheint ein neuer Meinungsbeitrag von mir zum Fediverse.

Weiterführende Links:
https://podcasts.homes/@ueckueck_und_das_fediverse/episodes/was-kommt-nach-der-nachsten-welle
https://www.kursif.eu/termine/workshop-das-fediverse-ein-selbstbestimmter-raum-im-internet-3/
https://gnulinux.ch/wzs-ueckueck-und-das-fediverse


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